Es fährt mich runter
Es ist Samstagabend gegen halb zehn. Wir sitzen mit Freunden in meinem WG-Zimmer und schauen uns eine spannende Serie an meinem PC an. Gebannt starren wir auf den Bildschirm, und genau in dem Moment, wo es niemand wagen würde, die Spannung auch nur mit einem einzigen Wort zu stören, wechselt der Bildschirm, der unsere ungeteilte Aufmerksamkeit genießt, plötzlich das Bild. Statt auf den Serienhöhepunkt blicken wir auf eine graue Fläche und die Aufschrift: „Windows wird heruntergefahren.“ Für meine Gäste eine unerwartete Wendung, für mich eine Erinnerung an die Realität, die ich selbst über mein Leben verhängt habe. Diese Realität sieht folgendermaßen aus: Seit einigen Monaten habe ich mir selbst den Internet- und den allgemeinen PC-Zugriff durch dafür geschaffene Programme geblockt. Während ersteres lediglich bewirkt, dass ich zu einer bestimmten Zeit keinen Internetzugriff mehr habe, bewirkt die Einschränkung des PC-Zugriffs, dass dieser zur voreingestellten Zeit einfach direkt herunterfährt. Von da an lässt er sich erst wieder hochfahren, wenn die nächste Zugriffszeit erreicht ist. Genau das ist an jenem Samstagabend passiert.
Meine Flucht ist geblockt
Hätte mir jemand noch vor zwei Jahren gesagt, dass ich mal so leben würde, hätte ich es nur schwer glauben können. Im Rückblick erkenne ich, wie problematisch mein Medienumgang, insbesondere in Bezug auf PC und Internet, in den letzten Jahren gewesen ist. Manches konnte ich nur dumpf erahnen, während ich heute das meiste klarer sehe. Und heute ist mir schmerzlich bewusst, dass mein Rückzug in die Weiten des Internets, vor allem in Online-Serien und Youtube-Videos, eine Flucht aus einer Welt war, die mich überforderte und in der ich mich meistens fehl am Platz fühlte. Hier war ich von allem Schwierigen abgeschnitten und konnte meinen Weg selbst bestimmen, mich in unendlichen Weiten und Eindrücken verlieren. Belastende Gedanken, Sorgen und Zweifel, die mich in der realen Welt bedrängten, konnten hier durch andere Bilder und Inhalte betäubt und zeitweilig ersetzt werden. Konkret begonnen hat dieses Rückzugsverhalten zu Beginn der Oberstufe in der Schule. Aber auch davor hatte ich bereits Rückzugstendenzen. Während meines BFDs in der OJC habe ich mich fast jeden Abend nach der Arbeit ins WG-Zimmer hinter meinen Laptop zurückgezogen. Gerade in dieser Zeit gab es so vieles, von dem ich mich überfordert fühlte; und ich hatte den Eindruck, es ginge nie wieder anders. Deswegen ist mir jener WG-Abend in besonderer Erinnerung, an dem wir gemeinsam mit den WG-Begleitern beschlossen haben, einen Monat Medien zu fasten. Für mich war es die reinste Horrorvorstellung, meinen gewohnten Rückzugsraum aufzugeben. Doch ich willigte ein und wir wagten das Experiment. Der Monat war weniger schlimm, als ich befürchtet hatte, jedoch fiel ich nach Ablauf der Frist relativ schnell zurück in meine alten Verhaltensmuster.
Die Realität baut mich auf
Nach meiner Zeit in der OJC bin ich zum Studium nach Gießen gezogen. Im Dezember 2017 erlebte ich eine persönliche Krise, die darin resultierte, dass ich einige grundlegende Dinge in meinem Leben veränderte. Dazu gehörten auch meine PC- und Internetgewohnheiten. Seit dieser Zeit lebe ich mit diesen Einschränkungen, an denen ich selbst wenig verändern kann, da sie nicht von mir selbst verwaltet werden. Ich will diese Einschränkungen nicht mehr missen, denn sie haben viele positive Auswirkungen auf mein Leben. Besonders starke Auswirkungen kann ich im Bereich des persönlichen Glaubens und der Seele feststellen. Dadurch, dass mir am Abend weder Computer noch Internet zur Verfügung stehen, hat sich bei mir eine völlig neue Abendroutine entwickelt. Statt mit Serien verbringe ich nun die letzten Stunden des Tages viel mehr mit Lesen und meiner Jesus-Beziehung. Für mich ist das die wertvollste und kraftvollste Tageszeit geworden. Ich merke, wie ich innerlich zur Ruhe komme und mich viel besser auf Gott einlassen kann. Hier generiere ich innere Kraft für die Herausforderungen des nächsten Tages. Besonders hat mich im letzten Jahr folgender Vers aus Sprüche 4,23 begleitet: Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus quillt das Leben. Zu diesem Behüten gehört ganz zentral, der Seele Ruhe zu geben und darauf zu achten, welchen Einflüssen von außen sie ausgesetzt ist. Konkret überlege ich mir, welchen Einflüssen und Reizen ich mich im Internet aussetze und wie lange ich das tue. Auch die Beziehung zu Jesus wird davon stark berührt, denn oft begegnet er uns in der Stille, wenn wir uns bewusst und ohne Ablenkung auf ihn ausrichten.
Der zweite Bereich ist die Beziehung zu anderen Menschen. Das Internet stellt für sich eine große, umfassende Welt dar, die man mit geringem Aufwand und ohne Hürden bereisen kann. Die Gefahr besteht darin, sich darin zu verlieren und zu isolieren. In den letzten anderthalb Jahren konnte ich beobachten, dass ich deutlich offener gegenüber anderen geworden bin. Das kann sich zum Beispiel darin ausdrücken, dass ich mit einem WG-Mitbewohner zu Abend esse und meistens von unseren Gesprächen profitiere, oder dass ich mich mit Freunden verabrede. Ich bin sehr froh über die Entscheidung zu diesem „Lebensstil“, sie ist eine der bisher prägendsten und positivsten meines Lebens.
Es bleibt natürlich eine tägliche Herausforderung, so zu leben, da ich dadurch auf viele Bequemlichkeiten verzichte und öfter gezwungen bin, umständlichere Wege zu gehen. Dennoch weiß ich, dass mir dieser Weg in meiner persönlichen Entwicklung und Gottesbeziehung guttut. Im Gespräch mit anderen fällt mir auf, wie interessiert und fasziniert sie von meinen Erfahrungen sind. Gerade in unserer Informationsgesellschaft, in der wir ständig von medialen Eindrücken bombardiert und abgelenkt werden, ist es wichtig, dass wir neu lernen, in uns selbst hineinzuhören und uns zu fragen, was unserer Seele und der Beziehung zu unserem Schöpfer guttut.