Zwei Männer sitzen lachend nebeneinander auf Holzbänken.

Weltweite Familie Gottes

Meine Vision von Ökumene

… hat eigentlich erst mit dem Kennenlernen der OJC eine positive Gestalt angenommen. Als klassischer Freikirchler war das Wort „Ökumene“ für mich mit dem Antirassismusprogramm des Weltkirchenrates (ÖRK) und liberaler Theologie eher ein rotes Tuch und vor allem verbunden mit der Vorstellung eines Papsttums-für-Alle. Als Mitlebender in der OJC-Gemeinschaft lernte ich nun Landeskirchler und Katholiken kennen, die nicht in meine Schablone von „unbekehrt“ und „Liturgie ist tot und passé“ passten. Später habe ich als Freund indigener Christen in Lateinamerika noch ganz andere, beeindruckende authentische Spiritualitäten von Jesus-Freunden kennengelernt, für die ich noch nicht mal eine Schublade hatte.1 Nur langsam habe ich verstanden, dass auch die Glaubensvorstellungen meiner Konfession mir im Wesentlichen „zugefallen“ sind, dass ich, wenn ich andere Eltern gehabt hätte, auch anders geprägt worden wäre, und damit meine Überzeugungen ziemlich biografisch und gar nicht rein rational und theologisch bedingt sind.

Mir dämmerte auch, dass mein Glaube und meine Theologie nicht identisch sind mit dem, an den ich glaube. Ich will lernen, mehr dem göttlichen Du zu glauben, als an meine – ehrlichen, aber augenblicklichen – Überzeugungen von Gott. Ich bin als Christ Nachfolger einer Person, der ich im Leben und Sterben mehr vertrauen möchte als meinen so stückhaften und sich wandelnden Einsichten. Das Wesentliche ist für mich heute die Person Jesus: Er hat mich zu einem Teil der weltweiten Familie Gottes gemacht; meine Geschwister suche ich mir nicht aus. Auch wenn sie (konfessionell) noch so anders ticken – wir sind Kinder desselben Vaters. Die Einheit im Volk Got­tes scheint nicht mehr als organisatorische Vereinheitlichung (Assimilierung und Integration) wünschenswert, sondern vielmehr als respektvolle Verbundenheit mit vielen anderen. Mein inneres Bild dazu ist, mir die so unterschiedlich tickenden Glaubenstraditionen als Symphonie vorzustellen, bei der jede und jeder etwas Besonderes beizutragen hat zum „vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet“ (D. Bonhoeffer).

Als Gemeinschaft gestalten wir unsere ökumenische Vielheit: in den bewusst unterschiedlichen Liturgiestilen in den Gottesdiensten, im Mittagsgebet und beim wöchentlichen Abendmahl. Wir wollen Menschen anderer Länder einbeziehen und halten Bibeln und Lieder in ihren Sprachen bereit. Die innerkirchliche Ökumene ist – nicht nur aus linguistischen Gründen – mit der globalen Ökumene verwoben. Es geht uns als Kinder Gottes vor allem um sein Friedensreich auf allen Kontinenten und um das Verfügbarsein für alle unsere nahen und fernen Nächsten – welchen Glaubens auch immer! Vor aller theologischen Klärungsarbeit geht es um Leben und Teilen als „interkontinentale“ Schwestern und Brüder. Solch eine kirchlich-globale Ökumene zu gestalten, gehört zu den Zukunftsaufgaben, die für ein (Über-)Leben auf unserem Weltkreis unbedingt nötig sind. Wir wissen, dass nicht alle Welt so leben kann, wie wir im Westen; es keinen Frieden ohne interreligiösen Dialog und echte Begegnungen gibt; und ganz schmerzlich, dass unser Reichtum mit der Ausbeutung der Rohstoffe und Arbeitskraft anderer zu tun hat. Daher ist die Herausforderung einer Ökumene, die ihrem Namen Ehre macht, bei uns in der OJC wesentlich mit unseren Freunden in der weiten Welt verbunden. Unsere Weihnachtsaktionen haben weniger mit Spendenprojekten, aber umso mehr mit geschwisterlicher Verbundenheit und gemeinsamer Entwicklung zu tun. Und damit, dass vertrauensvolle und nachhaltige Zusammenarbeit zum Tragen kommt. Auf diese Art und Weise wollen wir als ökumenische Gemeinschaft leben: schon jetzt – und hoffentlich zukünftig noch mehr – solidarische Gemeinschaft von Menschen sein, die aktiv ihre „zufällige“ biografische, nationale und kirchliche Prägung hinter sich lassen, dafür aber das Erbarmen Gottes mit uns und das Wohl aller Menschen ernst nehmen. Das hat uns Horst-Klaus Hofmann, der Gründer der OJC, als „Lebensstilmission“ gelehrt.

Am Ende will ich aber auch nicht verschweigen, dass ich Grenzen für ökumenische Toleranz sehe. Ich denke z. B. an die unglaubliche Todesspur in der Geschichte der Kirchen, wenn sie ihre eigene Nation über alles stellte – und damit auch über den weltweiten Leib Christi. Nur zu oft gehörte dazu auch das Segnen von Waffen und kriegerischen Aktionen, das auf krasse Weise verdeutlicht, dass egoistische Mittel und Zwecke die Treue zum Vorbild und Wort Jesu schmerzhaft verdunkeln. Und das kommt für mich auch da zum Ausdruck, wo eine einzelne kleine oder große Denomination einen Alleinseligmachungsanspruch stellt bzw. andere Christen für nicht wirklich christlich (glinus = „gläubig in unserem Sinne“) hält. Ökumene ist nicht nur eine Gabe und Herausforderung für unsere Spiritualität, sie hat wesentlich mit einem Lebensstil im Welthorizont zu tun.


  1. Ute und Frank Paul, „Begleiten statt erobern“, 2010 

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