
Komm auf Augenhöhe!
Alle haben wir schon einmal von ihnen gehört: von Marshall B. Rosenberg und seiner Gewaltfreien Kommunikation, von Friedemann Schulz von Thun mit dem Kommunikationsquadrat, von den fünf Axiomen von Paul Watzlawick und so weiter.
Für dieses Salzkorn hat das Redaktionsteam sich gefragt: Was möchten wir denn in dieser Ausgabe selber lesen? Antwort: Eine Art Handreichung, wie Kommunikation gelingen kann, wie man in schwierigen Gesprächen agieren kann, das wäre richtig hilfreich!
Nicht, dass das einfach wäre. Aber ein paar Punkte, zusammengezogen aus den oben beschriebenen Modellen, lassen sich auflisten.
Eigentlich wissen wir es ja…
Die Ausgangslage ist simpel: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten, und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ (Watzlawick)
Das ganze Spektrum des Schweigens, der Blicke, der Körpersprache kommt hier in den Fokus.
Die nächste Tatsache ist ebenso einleuchtend: Wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren, dann sind das eben zwei Menschen. Die haben ihre Geschichte und ihre Prägung. Und deshalb kommt es vor, dass das, was Anton sagt, von Berta anders gehört wird. Denn was Anton sagt, hat nicht nur zwei, sondern vier Seiten. Und wie Berta hört, hat ebenfalls vier Seiten. Die Aussage von Anton gibt einen Sachinhalt wieder, enthält einen Appell oder ein Ziel, sagt etwas über die Beziehung zum Gegenüber und auch etwas über den Sprecher aus. Genau diese vier Seiten sind auch bei Berta wirksam, die zuhört (Schulz von Thun). Die vier Seiten sind nicht immer gleich stark wirksam. Mir passiert es zum Beispiel oft, dass ich etwas gleich als Appell oder Aufforderung verstehe, was der Sprecher aber gar nicht so gemeint hat. Ich habe ein großes Appellohr. Deshalb sind alle Gespräche anfällig für Interpretation und Wertung.
Ich höre was, was du nicht sagst
Hier setzt Rosenberg an, denn zur ersten Komponente der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) gehört das Auseinanderhalten von Beobachtung und Bewertung. Das kann man den ganzen Tag üben: Einfach sagen, was man sieht, hört, beobachtet. Da sitzt ein Mensch in der Sonne auf der Bank. Es ist elf Uhr. Er trinkt ein Bier. Ich denke weiter: Der Mann ist arbeitslos und hat ein Alkoholproblem.
Nun muss ich mir klarmachen, dass diese Gedanken meine Interpretationen sind. Bewertung. Weit über die Beobachtung hinausgehend. Die Crux daran: Ich halte meine Interpretation für die Wahrheit. Sieht man doch!
Zwei-drei-vier-neun: PIN der Kommunikation
Zwei Grundvoraussetzungen, drei goldene Regeln, vier Schritte, und neun Bedürfnisse: auf diese Zahlen versuche ich die Gewaltfreie Kommunikation herunterzubrechen. Marshall Rosenberg hat die Giraffe als Symbolfigur für die Gewaltfreie Kommunikation auserkoren. Mit ihrem langen Hals und dem größten Herz unter den Landsäugetieren steht sie für Weitsicht und Mitgefühl. Diese beiden Eigenschaften sind das Startkapital jeden gelingenden Gesprächs.
Augenhöhe, Transparenz und Mitwirkung, das sind die drei goldenen Regeln. Auf Augenhöhe kommunizieren ist in einem Konfliktgespräch deshalb nicht einfach, weil man in der Regel denkt, im Recht zu sein. Augenhöhe setzt voraus, dass ich dem anderen zugestehe, dass er ebenfalls im Recht sein kann. Transparenz schafft Vertrauen. Sie ist nur dann gegeben, wenn ich rechtzeitig, verständlich und ehrlich informiere. Und Mitwirkung muss ich zulassen – das erfordert von mir Flexibilität und Zuhören.
In einer gelingenden Kommunikation, in der jeder der Partner sich verstanden fühlt, sind vier Schritte miteinander verbunden: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Alle Schritte müssen vollständig durchlaufen werden. Die Beobachtung habe ich oben schon erwähnt. Die Grundfragen sind: Was sehe ich, was höre ich? Ohne Bewertung. Als nächstes werde ich mir darüber klar, welches Gefühl die Beobachtung bei mir ausgelöst hat. Es ist wichtig, zwischen Gefühlen und Gedanken oder Interpretationen zu unterscheiden. Mein Gefühl benenne ich, ohne einen Vorwurf daraus zu machen. Und dann werde ich von diesem Gefühl zum darunterliegenden Bedürfnis geführt. Hier ist es wichtig, dass ich mein Bedürfnis formuliere, ohne eine Strategie damit zu verfolgen. Zum Schluss formuliere ich eine Bitte – keine Forderung. Und ich akzeptiere dann die Antwort, die eben auch Nein lauten kann.
Verantwortung für seine Gefühle übernehmen
Dem Thema Gefühle und Bedürfnisse auf die Schliche zu kommen, ist essenziell für eine gelingende Kommunikation. Denn genau hier verbirgt sich der Schlüssel für das gegenseitige Verstehen. Marshall Rosenberg nennt neun Kategorien unserer Bedürfnisse (in Anlehnung an Max Neef):
Lebensunterhalt, Sicherheit, Liebe, Verständnis/Empathie, Kreativität, Erholung, Zugehörigkeitsgefühl, Autonomie und Sinnhaftigkeit.
Alle unsere Handlungen dienen der Befriedigung eines der Bedürfnisse. Wird ein Bedürfnis nicht befriedigt, äußert sich das in einem Gefühl. Meine Bedürfnisse zu kennen bedeutet, die Verantwortung für meine Gefühle zu übernehmen. Denn was andere sagen oder tun, ist nie die Ursache für mein Gefühl, höchstens der Auslöser. Verantwortung für meine Gefühle zu übernehmen bedeutet, die Erfüllung meiner Bedürfnisse nicht von anderen zu erwarten. Ich selbst bin dafür zuständig.
DIY: Do it yourself
Fühle ich Ärger, kann das viele Gründe haben: Ich bin übergangen worden. Ich habe meinen Geldbeutel verloren. Ich habe einen Zug verpasst und komme zu spät ins Konzert. Oder ich habe einfach Hunger. Ärger ist nicht gleich Ärger. Indem ich das zugrunde liegende Bedürfnis artikuliere, helfe ich mir und meinem Gegenüber: denn es hilft ihm ungemein zu wissen, ob ich eine Brezel oder eine Umarmung brauche.
Gute Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass ich meine Gefühle und Bedürfnisse und die meines Gegenübers wahrnehme.
So enthält die Aussage: „Du hast mich enttäuscht, weil du gestern eine halbe Stunde zu spät gekommen bist“ eine Anklage. Im Satz „Als ich gestern auf dich warten musste, war ich enttäuscht, weil ich dachte, du hättest unsere Verabredung vergessen“ übernimmt der Sprecher Verantwortung für sein Gefühl und erkennt das darunterliegende Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Er bleibt ganz bei sich: Ich war enttäuscht, ich dachte… Auf dieser Ebene kann das Gespräch weitergeführt werden – nach der ersten Aussage muss der Angesprochene sich verteidigen und es endet in einem fruchtlosen Hin und Her.
Da man nicht nicht kommunizieren kann, lohnt es sich, gute Kommunikation zu lernen. Eins ist sicher: Man lernt nie aus!