Ist jemand Zuhause?
Aus dieser Suchbewegung nach Heimat ist auch der Auftrag der OJC hervorgegangen, wie wir ihn in unserem Leitbild formuliert haben: jungen Menschen in Jesus Christus Heimat, Freundschaft und Richtung geben.
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Editorial
Liebe Freunde
Als jemand, der in einer fremden Kultur groß geworden ist, werde ich immer wieder gefragt, wo denn meine Heimat sei? In Südafrika, dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin? Oder im Herkunftsland meiner Eltern, in dem ich selbst nun seit fast 20 Jahren lebe? Mein Gegenüber wartet dann mit fragendem Blick. Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, was ich antworten soll. Denn eine kulturell und geografisch eindeutige Heimat kann ich nicht nennen. Während der Beschäftigung mit dem Thema bin ich auf folgenden Satz von Christian Morgenstern gestoßen: „Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.“ Vermutlich wird das in Zukunft meine Erwiderung auf die Frage sein. Die anderen verstehen und von ihnen verstanden werden – ja, sich durch sie erst selbst zu verstehen –, ist ein Urbedürfnis des Menschen. Als Kinder sind wir auf Verständnis angewiesen und begierig, selbst ein Verständnis für unsere Umwelt zu entwickeln. Als Sinnsuchende strecken wir uns nach Antworten aus, die über unsere Person hinausweisen und uns die tieferen Zusammenhänge des Daseins erschließen.
Aus dieser Suchbewegung ist auch der Auftrag der OJC hervorgegangen, wie wir ihn in unserem Leitbild formuliert haben: jungen Menschen in Jesus Christus Heimat, Freundschaft und Richtung geben. Ich selbst habe als junger Erwachsener, als ich in die OJC kam, Heimat in Christus gefunden. Sie wurde für mich ein solides Fundament, auf das ich mein eigenes Lebenshaus aufzubauen begann. Heimat habe ich in Christus; alles Weitere – meine Ehe, die Familie, meine Freundschaften, meine Berufung – bekommt erst auf dieser Grundlage Festigkeit und Profil. Wie wir im letzten Heft bereits nach der Richtung des Lebens in Christus fragten, im Heft davor nach der Freundschaft in ihm, nähern sich die Beiträge in diesem dem Thema „Heimat“ aus verschiedenen Richtungen.
Den Mittelpunkt gut gesetzt
Es ist wichtig, zu wissen, was die Mitte des eigenen Lebens ausmacht. Wer gut verankert ist, kann sich weit hinauslehnen. So haben wir die Bildmeditation zu Maria und Martha von Rebekka Havemann auch zeichenhaft in der Mitte des Heftes platziert (S. 72). Christus selbst möchte in allen Bereichen die Mitte des Lebens sein. In ihm nimmt alles seinen Anfang und findet sein Ende, in ihm soll auch all unser Tun verankert sein. Ist Jesus unser Gast, sind wir ganz Zuhause. Alles Weitere ist demgegenüber sekundär. Vergessen Sie daher getrost Editorial und all die klugen Sätze und Texte im Heft; wenn Sie nur die Mitte erfassen, haben Sie das Wesentliche ergriffen! Alles Gepredigte, Bezeugte, Berichtete wird erst lebendig, wenn es sich dieser Mitte zuordnet. Ich lade Sie ein, die Doppelseite aus dem Heft zu lösen und das Gebet als Wegbegleiter in die kommenden Wochen mitzunehmen.
Heimat durch Bindung
Wie man sich die wesentlichen Dinge nicht selber geben kann, so kann man auch Heimat und Zugehörigkeit nicht aus sich selbst erzeugen. Sie wächst aus dem Vertrauens- und Verstehensgefüge der frühen Kindheit. Nur wer „bei sich zu Hause“ ist, kann anderen ein Zuhause anbieten, kann in Verbundenheit mit anderen leben und sich leichter für die Gegenwart Gottes öffnen. Christl R. Vonholdt beschreibt, wie frühkindliche Bindung als lebensförderliches Fundament entsteht, sich auf spätere Beziehungen auswirkt und uns für ein ganzes Leben prägt (S. 74). Der Artikel stellt so manches als zeitgemäß angepriesene familienpolitische Konzept in Frage, eröffnet aber auch hoffnungsvolle Perspektiven: Wir Menschen sind und bleiben zeit unseres Lebens bedürftig für Geborgenheit und damit auch formbar in unserer Fähigkeit, uns zu binden, wenn wir nur nicht müde werden, uns nach tragenden, vertrauensvollen Beziehungen auszustrecken.
Den eher sachlichen Artikel ergänzt die poetische Erinnerung der Amerikanerin Rachel Naomi Remen an die innige Verbindung zu ihrem jüdischen Großvater auf eindrückliche Weise: Es braucht neben gelungener Bindung auch Rituale und Wiederholungen, die uns unseres Seins versichern (S. 78). Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass man Kindern möglichst viel Abwechslung bieten soll und dass sie vor allem eine möglichst vielschichtige bildungstechnische Förderung bräuchten. Es sind viel mehr die einfachen, regelmäßig wiederholten Handlungen, die sich unseren Erinnerungen einprägen und uns zu Beständigkeit, Selbstvertrauen und Kontinuität befähigen. Vielen Kindern weltweit fehlt solche Verlässlichkeit in dramatischem Ausmaß, sie sind den Stürmen des Lebens schonungslos ausgesetzt. Gerade sie brauchen sichere Anlaufstellen der Geborgenheit und des langsamen Wachsens und Reifens wie einen Bissen Brot. Seit vielen Jahren unterstützt die OJC durch Ihre Spenden für die Weihnachtsaktion das Hoffnungsprojekt „The Harbor“ (der Hafen) für Sozialwaisen in St. Petersburg, Russland. Luba Yarovaya trägt die Verantwortung für das Projekt. Claudia Jersak nimmt uns in die spannende Berufungsgeschichte der jungen Ukrainerin hinein und beschreibt, wie Luba sich leidenschaftlich dafür einsetzt, dass der generationenübergreifende Teufelskreis von Verwaisung und Verwahrlosung unterbrochen wird (S. 84).
Den Blick über den Horizont …
Wer länger im Ausland gelebt hat und dort zu einem vertrauten Menschen für Fremde wurde, dem kann die ursprüngliche Heimat in vielerlei Weise fremd werden. Frank und Ute Paul sind nach 18 Jahren in Argentinien 2008 nach Reichelsheim zurückgekehrt und letztes Jahr in die OJC-Kommunität eingetreten. Um ihrer Berufung zu folgen, haben sie Liebgewonnenes und Angeeignetes zurückgelassen. Sie geben uns Anteil an ihrem spannenden Weg, ihrer Leidenschaft und ihren Ernüchterungen (S. 56).
Das Ziel unseres irdischen Daseins ist es, „himmelsfähig“ zu werden. Die Jahreslosung aus Hebräer 13,14 erinnert uns daran: Unser Leben hier ist eine einzigartige Vorbereitungszeit auf die letzte Heimat. Der Mensch ist dazu gerufen, als Abbild Gottes immer beziehungs- und liebesfähiger zu werden. Rudolf Böhm lädt uns ein, diesen anstrengenden, aber lohnenden Weg zu gehen (S. 80).
… die Füße auf dem Boden
In diesen Wochen beschäftigt uns ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in dem ein Verbot von Therapien bei Minderjährigen gefordert wird, die das Ziel einer Abnahme homosexueller Empfindungen haben. Im Gesetzentwurf heißt es: „Das Anbieten und die Durchführung von Therapien, die das Ziel haben, die sexuelle Orientierung bei Minderjährigen zu verändern, werden mit einer Geldbuße geahndet.“ OJC und DIJG werden im Gesetzentwurf als Einrichtungen namentlich genannt, gegen die man aufgrund dieses Gesetzes vorgehen sollte. Laut Gesetzentwurf soll es nur noch „gay-affirmative“ Therapien geben. Solche Therapien haben das Ziel, Jugendliche in ihren homoerotischen Gefühlen zu bestärken, diese Gefühle zu festigen und die Betroffenen zu einem homosexuellen Leben ermutigen. Der Gesetzentwurf stützt sich im Wesentlichen auf die Behauptung, Therapieangebote mit dem Ziel einer Abnahme homosexueller Empfindungen seien unwirksam, schädlich und im Einzelfall lebensgefährlich. Diese Behauptung entbehrt jeder sachlichen und wissenschaftlichen Grundlage. Das DIJG hat dazu ausführlich in einer Pressemitteilung Stellung genommen. Der Gesetzentwurf ist ein massiver Eingriff in die Rechte und Freiheiten von Therapeuten und Klienten, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Es ist zudem ein unerhörter Angriff auf die Religionsfreiheit. Jugendliche, die aus Gewissensgründen nicht homosexuell leben möchten und sich eine Abnahme homosexueller Empfindungen wünschen, sowie Therapeuten, die sie in diesem Anliegen unterstützen, sollen bestraft werden. Ein Therapeut erklärte dazu: „Im Grunde müsste es einen Aufschrei der Empörung geben, wenn der Gesetzgeber Klienten und Therapeuten hier vorschreibt, welches Therapieziel erlaubt und welches nicht erlaubt ist. Meines Erachtens ist da die Grenze zum Totalitären klar überschritten.“ Im Falle eines Wahlsieges von Rot-Grün muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzentwurf umgesetzt wird. OJC und DIJG werden sich weiterhin für Selbstbestimmung und Therapiefreiheit einsetzen.
Wir brauchen Paten
Bei meiner Taufe stellten mir meine Eltern drei Pfarrer als Paten zur Seite. Einer davon erzählte mir, als ich die verwegensten Irrungen meines Lebens hinter mir gelassen hatte, dass er während der Predigt meines Großvaters – der übrigens auch Pfarrer war – den Satz hörte: „Wer nicht täglich für sein Patenkind betet, ist es nicht wert, ein Pate zu sein.“ Der besagte Pate bekannte, dass er sich damals maßlos über diese Behauptung aufregen musste. Und doch, er hat es im Laufe der Zeit täglich getan. Diese treue Fürbitte im Verborgenen gehört zu den tragenden Säulen meines Lebens. Was auch uns als Gemeinschaft ein solcher Rückhalt bedeutet, ist uns seit dem Start der letzten OJC-Patenaktion neu bewusst geworden. Freunde, die sich im Gebet und mit Spenden verbindlich zu unserem Auftrag stellen, ermöglichen uns, perspektivisch zu denken und zu planen. Wir brauchen weiterhin Paten, die uns in Fürbitte und Tat zur Seite stehen. Ermutigt durch meine eigene tragende Erfahrung lege ich Ihnen unsere Patenaktion ans Herz: Hängen Sie sich ein in die Herzenskette und tragen Sie mit uns den OJC-Auftrag in die Zukunft!
Schritte auf dem Weg zum Aufbruch …
Seit unserem Bundesschluss im Jahre 2008 brennt die Frage nach einem neuerlichen Aufbruch, gar an neue Orte, in unseren Herzen. Nach einer ausgiebigen Phase der Konsolidierung mit der Aufarbeitung unserer Geschichte, der Verabschiedung unserer Grammatik und der Gründung der Kommunität sowie der „Verleiblichung“ unserer Lebensregel spüren wir, dass Kraft für Veränderung gewachsen ist. Die kommunitären Stabilisierungsmaßnahmen ergeben nur dann einen Sinn, wenn sie zukunftsweisend im Dienst des Auftrags stehen. Uns ist klar, dass man Aufbrüche zwar wollen, aber nicht machen kann. Deswegen heißt es nun, vertrauensvoll auf den richtigen Moment, auf den Kairos, zu warten. Unsere diesjährige Winterretraite in Selbitz stand unter dem Motto: Schritte auf dem Weg zum Aufbruch. Während des gemeinschaftlichen Rückzugs haben wir uns vergegenwärtigt, dass wir mit den letzten beiden Leitungswechseln die Epoche des „breiten Generationenwechsels“ eingeläutet hatten. Viele Geschwister aus den Anfangsjahren sind in die zweite Reihe getreten und geben ihre Verantwortung nach und nach an eine jüngere Generation ab. Das verändert sowohl unsere Arbeitsweisen als auch die jeweiligen Epochenziele und stellt uns vor neue Herausforderungen im Ringen um Einigkeit in der Vielfalt. Wir sind selbst gespannt, was unser innerer Umbruch für äußerliche Aufbrüche zeitigen wird. Wer uns an Himmelfahrt zum Tag der Offensive besucht, kann sich ein Bild davon machen (S. 96).
Nach meinem ersten Jahr im Leitungsamt werde ich häufig gefragt, wie es mir damit gehe, vor allem mit dem Tragen der großen Verantwortung. In der Regel bekommt die fragende Person folgende Antwort zu hören: „Ich kann es nicht – deswegen stelle ich mich dieser Aufgabe.“ Mein Amtsvorgänger Dominik Klenk betonte, dass es für dieses Amt auch die AmtsGNADE braucht, denn ein Leiter ohne Amtsgnade ist nur ein „Halb-Leiter“. Und so lebe ich nun vor allem von dieser Gnade und der Fürbitte vieler Menschen. Es ist ein forderndes, aber kostbares und verheißungsvolles Amt. An dieser Stelle daher ein herzliches Dankeschön für alle Ermutigung und Unterstützung von Ihnen und Euch.