Kirche im Kontrast
Es gibt in der Geschichte keine Institution, die so lange überlebt hat wie die Kirche. Bei aller Unzulänglichkeit, Fehlbarkeit, Spaltungsneigung und Anfälligkeit für das Weltliche hat sie nicht nur ihre Kritiker überlebt, sondern auch ihre kritischen Phasen überstanden. Dass es so etwas wie Kirche überhaupt noch gibt, verdankt die Christenheit allein der Treue und Größe Gottes.
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Editorial
Die Türme der Kirche von heute hat der progressive Klerus
nicht mit dem Kreuz, dafür aber mit der Wetterfahne geziert.– Nicolás Gómez Dávila
Liebe Freunde
meinen Wunsch, vom Bauingenieur- zum Soziologiestudium zu wechseln, kommentierte mein Vater, Theologe und Pfarrer, mit den Worten: „So, so, die säkulare Theologie hast du also gewählt.“ Mit seinem Segen habe ich das Studium begonnen, beendet und so manches Gelernte im Laufe der Zeit vergessen. Doch die widersprüchliche Begriffskombination „säkulare Theologie“ hat sich mir eingeprägt und fällt mir bis heute ein, wenn ich an Gesellschaft und Kirche denke.
Es gibt in der Geschichte keine Institution, die so lange überlebt hat wie die Kirche. Bei aller Unzulänglichkeit, Fehlbarkeit, Spaltungsneigung und Anfälligkeit für das Weltliche hat sie nicht nur ihre Kritiker überlebt, sondern auch ihre kritischen Phasen überstanden. Dass es so etwas wie Kirche überhaupt noch gibt, verdankt die Christenheit allein der Treue und Größe Gottes.
Schwere Verluste
In den letzten Jahrzehnten hat die Kirche allerdings schwere Verluste einstecken müssen: Sie hat merklich an Bedeutung und Deutungsmacht eingebüßt, und auch der Einfluss der Kirchen als konfessionell verfasste Institutionen schwindet zusehends. Über die Statistiken in den Volkskirchen kann der deutsche Lutheraner schon ins Grübeln geraten: sinkende Mitgliederzahlen, sinkende gesellschaftliche Relevanz, sinkendes Interesse an ihren mahnenden Worten. Lediglich die Einkünfte gestalten sich einigermaßen kalkulierbar, doch auch die Anfragen an das Kirchensteuersystem hierzulande werden lauter, nicht nur von außerhalb der Kirche. Gänzlich unüberhörbar ist die wachsende Unduldsamkeit im säkularen Umfeld, bis hin zu respektloser Intoleranz Christen gegenüber.
Kirche im Infekt
Diese Entwicklungen strapazieren ganz gewaltig das geistliche Immunsystem der Kirche und sie wird zunehmend anfällig für die Erreger, die ihr der Zeitgeist zuhustet. In dem Maße aber, wie ihre Abwehrkraft nachlässt, verliert sie die Fähigkeit, den hoffnungsvollen Widerspruch des Evangeliums gegen den Allerweltskonsens zu gestalten. Damit wächst die Gefahr, dass sie der Welt gleich gestaltet und entbehrlich wird.
Kirche im Defekt?
Was aber geschieht, wenn sich die Jünger Jesu im Wirrwarr der Weltbilder und proklamierten Wahrheiten als eine von vielen möglichen anderen ein- und unterordnen? Wenn sich Kirche bereitwillig in den Kanon gängiger Anschauungen einschmiegt, statt sie im Lichte des Evangeliums kritisch zu betrachten? Ist sie noch Kirche, wenn sie „ernsthafte Spannungen nicht mehr ertragen“ mag und kann und stattdessen „das leichtfertige Segeln mit dem Wind“ vorzieht (Bonhoeffer)? Hat sie dann nicht ihre Christus- und Auftragsmitte verloren?
Die inkorrekte Kirche
Eine gesellschaftlich „korrekte“ Kirche wähnt sich unangreifbar. Eine inkorrekte Kirche hingegen ist das definitiv nicht. Das lehrt uns bereits die Verfolgungsgeschichte in der frühen Kirche.
Das Zentrum ihres Glaubens, das Kreuz, ist seit jeher eine Provokation. Es gemahnt an die unbequeme Tatsache, dass wir erlösungsbedürftige, dem Tod verfallene Wesen sind. Zugleich ist es das Zeichen unserer Rettung und steht für das große Erbarmen Gottes, für unsere Erlösung in Jesus Christus und für unsere Teilhabe an seiner Auferstehung.
Einer aufgeklärten, materialistisch geprägten Gesellschaft erscheint es als Torheit und Zumutung, an einen unsichtbaren Schöpfer zu glauben und seine Weisungen und Verheißungen als Richtschnur für ein gelingendes Leben ernst zu nehmen. Und zu verkündigen! Deshalb orientiert sich mancher vermeintlich progressive Kirchenpolitiker lieber an einer Wetterfahne als am Kreuz.
Die vernarrte Kirche
Die sogenannte fünfte Jahreszeit der Narren liegt bereits hinter uns. Die Kirche aber wächst erst in der Passionszeit so recht in ihre Narrenrolle hinein, wenn sie sich an Ihn hält, den die Welt verhöhnt. Nur eine in Christus vernarrte Kirche hat die Freiheit, sich auch zum Narren in dieser Welt (1Kor 4,10) zu machen. Verzichtet sie auf Applaus und Selbsterhalt, wächst ihr die prophetische Strahlkraft zu, die kleine, verzagte Schar aus der Rückzugsmentalität herauszuführen und wird gerade durch ihre „radikale Nonkonformität“, wie John Stott es nennt, Salz und Licht für die Welt (S. 30).
Die herausgeforderte Kirche
Doch wer gilt schon gerne als Abweichler? Und so nehmen Protestanten heute bereits widerspruchslos zur Kenntnis, was vor wenigen Jahren noch für Furore sorgte: Die Synode der Rheinischen Kirche, der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland, sprach sich Mitte Januar für die „Trauung“ homosexueller Paare aus. Damit hat sie den Staat, der weiterhin zwischen der Ehe von Mann und Frau und einer eingetragenen homosexuellen Lebenspartnerschaft unterscheidet, weit überholt.
Das Anliegen der Synodalen, einen Raum der Akzeptanz für homosexuell empfindende Menschen zu schaffen, ist nachvollziehbar.
Doch die hermeneutische Akrobatik, der es zur „biblischen“ Legitimation einer Ausdehnung der von Gott eingesetzten Institution der Ehe auf zwei Personen gleichen Geschlechts bedarf, offenbart auch die geistliche Verrenkung, die nötig ist, um mit der Bibel gegen die Bibel zu argumentieren.
So leicht lässt sich die Spannung zwischen der Realität, wie wir sie vorfinden, und dem deutlichen Hinweis Jesu „Am Anfang jedoch war es nicht so“ (Mt 19,8 / NGÜ ) nicht auflösen! Die Kirche Jesu ist herausgefordert, diese Spannung auszuhalten und der Realität der Menschen mit Respekt und in Liebe und, wo erwünscht, seelsorgerlich zu begegnen.
Die streitbare Kirche
Angesichts des Dissenses in der evangelikalen Bewegung stellt sich die dringliche Frage, wie eine solche Seelsorge heute aussehen kann und soll.
Im Zuge der Diskussion um die Haltung zu Familie und Gesellschaft, zu der wir auch unsere Freunde ermutigen möchten, werden wir weiterhin Stellung beziehen − auf der Grundlage eingehender Recherchen und im Austausch mit kompetenten Theologen, Seelsorgern, Eheberatern, Pädagogen, aber auch mit Betroffenen.
Bereits erarbeitete Materialien zu Ehe und Familie finden Sie auf der Webseite unseres Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft: www.dijg.de.
Miteinander für Europa
Die Flüchtlingskrise und der drohende Austritt Großbritanniens (Brexit) stellen die Einheit der Europäischen Union auf eine harte Probe. Die Gebote der Nächstenliebe und der Nüchternheit, die gerne gegeneinander ausgespielt werden, rufen uns Christen ganz neu auf den Plan. Unsere Wertegemeinschaft hat nicht nur gemeinsame christliche Wurzeln, sondern auch eine Zukunft, wenn mutige Christen bereit und fähig werden, „Europa eine Seele zu geben“. Wie nötig der Kontinent das braucht, führt uns Walter Kardinal Kasper eindringlich vor Augen (S. 19).
Lassen wir uns zu mehr Solidarität und Verantwortung anstiften! Wer dem Ausdruck verleihen möchte und Stärkung und Ermutigung durch Gleichgesinnte sucht, ist beim nächsten internationalen „Miteinander für Europa“-Kongress vom 30.6.-2.7. in München richtig. Das Netzwerk aus Gemeinschaften unterschiedlichster Konfessionen ist eine Antwort auf das Gebet Jesu um die Einheit der Jünger (Joh 17) und die Versöhnung in der einen Kirche Jesu (S. 45). Daher ist es uns eine besondere Freude, dass der ojcos-Stiftungspreis im Rahmen unseres diesjährigen Tags der Offensive dieser Initiative verliehen werden wird.
Miteinander Teilen
Wir sind unglaublich dankbar für die Spenden, die im vergangenen Jahr für die OJC und die Weihnachtsaktion eingegangen sind (S. 41). Dass unser Gebet und unser Aufruf erhört wird, halten wir nicht für selbstverständlich. Wir gehen mit dieser Bestätigung ermutigt in das neue Jahr.
Noch schöner als beschenkt zu werden ist die Möglichkeit zu teilen: Eleonora Muschnikova, unsere Projektpartnerin aus St. Petersburg, schreibt uns: „Es waren zehn eiskalte Tage, zwischen -25° und -30°. Wir konnten viele Straßenkinder einsammeln und sind froh, dass wenigstens in den uns bekannten Gangs niemand umgekommen ist.“ Dank Ihrer Spenden aus der Weihnachtsaktion konnte ihr Team wieder etwa hundert Straßenkindern und Obdachlosen ein Winterquartier bieten und den Kindern die medizinische Grundversorgung sichern.
Unsere aktuellen Baustellen
Der im letzten Salzkorn (4/2015) angekündigte Bau des Mehrgenerationenhauses gewinnt zusehends Gestalt. Der Bauantrag ist gestellt, der Finanzplan steht und die Ausschreibungen laufen auf Hochtouren. Mit diesem Haus wollen wir für unsere Altpioniere und kommenden Ruheständler einen bezahlbaren und altersgerechten Wohnraum schaffen. Gleichzeitig möchten wir ein Hoffnungszeichen setzen: Wir merken, wie das Miteinander der Generationen das gemeinsame Leben herausfordert, aber auch befruchtet. In der Zeit um Ostern erhalten Sie von uns eine Einladung, dieses Zukunftsprojekt tatkräftig zu unterstützen. So Gott will, fällt der ersten Spatenstich Anfang April 2016; zum TDO wird es schon etwas zu sehen geben! Ebenso auf der Baustelle der oberen Burg, wo der Innenausbau bis 2017 abgeschlossen sein wird. Zwei gut fundierte Hoffnungsziele, die wir uns bis zum 50-jährigen OJC-Jubiläum 2018 gesetzt haben. Ihr Gebet und Ihre Freundschaft geben uns Rückenwind.
Tag der Offensive
Alle, die in diesen stürmischen Zeiten ihr geistliches Immunsystem auffrischen und geistliche Vitamine tanken möchten, sind herzlich zu unserem Tag der Offensive eingeladen (S. 24). Unter dem Motto: Jeder braucht Asyl! Gut be-dacht in stürmischen Zeiten wollen wir mit sturmerprobten Gästen und Referenten Gott loben und einander Anteil geben an der Hoffnung, die Jesus Christus für uns ist. Eine kleine Wetterwarnung: In diesem Jahr feiern wir ausnahmsweise am Sonntag, dem 5. Juni, weil wir uns an Himmelfahrt beim Christival in Karlsruhe engagieren. Aber auch dort freuen wir uns auf Begegnungen mit Ihnen am OJC-Stand!