Eine Welt, in der jeder willkommen ist?
Die Tatsache, dass in der Pränataldiagnostik immer gezielter nach Auffälligkeiten gesucht wird, könnte den fatalen Eindruck entstehen lassen: Ein Kind mit Behinderung kommt besser gar nicht auf die Welt. Was für eine Täuschung!
Tatsächlich erleben wir auf vielfältige Weise, wie unsere beiden Söhne mit Down-Syndrom uns inspirieren. Wenn Alexander (21) nur mit größter Überzeugungskraft aus dem Schwimmbecken zu bringen ist; wenn die Bass-Drum seines Schlagzeugs durchs Haus dröhnt … dann nervt das manchmal. Und zugleich merken wir, was für ein Geschenk es ist, das Leben mit ihm zu teilen. Niemand lacht ansteckender als Alexander. Und mit seinem feinen Gespür hat er mich schon manches Mal getröstet.
Wenn Samuel (16) abends noch wartet, bis auch „der Baba“ an sein Bett kommt, wenn er sich strahlend die Schuhe anzieht, bevor wir (ein ganz wichtiges Ritual) am Samstagmorgen gemeinsam zum Bäcker fahren – dann bin ich es, der dankbar den Moment genießt.
Seit seinem siebten Lebensjahr ist Samuel auch diagnostizierter atypischer Autist. Damit gehen noch einmal besondere Bedürfnisse einher. Im Gegensatz zu Alexander, der gerne ein Bad in der Menge nimmt und die große Bühne liebt, braucht Samuel mehr Rückzugsmöglichkeiten. Während Alexander ein echter Kommunikator ist, fällt Samuel genau das besonders schwer – er kann sich häufig nicht so gut verständlich machen, und das ärgert ihn dann natürlich. Vom Temperament her hat er allerdings ordentlich Feuer… Und ich lerne von ihm, dass man sich auch mal zurückziehen und allein sein muss, um ganz bei sich zu sein (auch wenn er ein ziemlich ausgeprägtes Bedürfnis danach hat). So ganz nebenbei lerne ich, dass es nicht viel braucht, um einen Tag zu einem glücklichen Tag zu machen.
Im Lauf der Jahre wird mir allmählich klar, dass das Leben mit besonderen Kindern eine Reise ist. Ich habe den Eindruck, ich stehe immer noch ganz am Anfang, zu entdecken, was das alles mit mir macht, was Gott mir dadurch sagt. Zum Beispiel: Gott liebt mich so, wie ich bin. Ich muss nicht perfekt sein. Von meinen Jungs lerne ich, dass es nicht so wichtig ist, was andere über mich denken. Das befreit! Und kann dennoch ganz schön herausfordernd sein und bringt mich an meine Grenzen. Ich lerne, dass es nicht immer vernünftig ist, noch mehr zu arbeiten. Dass jeder, dem ich begegne, ein Mensch ist. Und dass es dabei keine Rolle spielt, ob andere ihn für wichtig und einen „Leistungsträger“ halten oder ob er ständig auf Assistenz angewiesen ist.
Und ich lerne staunend, was für ein Glück es ist, sein Leben buchstäblich Jesus anzuvertrauen. Sich weniger Sorgen zu machen und stattdessen ernst zu nehmen, dass Gott uns sieht, uns kennt und für uns sorgt. Das könnte man nun abtun mit dem Argument: Kinder oder Menschen mit geistiger Behinderung wissen es ja nicht besser, sie können das halt noch nicht verstehen. Dabei ist es genau andersherum: Sie wissen tatsächlich besser und tiefer als wir, dass Gott Realität ist. Gerade da, wo ich mit meinem Latein am Ende bin, wo ich einsehe, dass ich keine Kontrolle und keinen Plan habe, kann Gott mich an die Hand nehmen und führen. Und hier kann ich auch anderen ganz anders begegnen.
Ich bin Gott dankbar, dass er uns diese besonderen Jungs anvertraut hat. Und ich bin gespannt, was ich noch so lernen darf… Erst in letzter Zeit wird mir bewusst, wie sehr unsere Kinder sogar unseren Lebensweg prägen. Der Neufeld Verlag, den ich 2004 gründete, legt unter dem Motto „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder willkommen ist!“ inzwischen einen Schwerpunkt auf Bücher zum Thema Behinderung. Das hätte ich mir allein nicht ausgesucht. Und heute scheint mir, dass Gott uns nicht nur als Familie, sondern auch als Verlag etwas Besonderes anvertraut hat.
Natürlich, zu unserem Thema gehört auch Schmerz. Für Eltern ist es erstmal ein Schock, ein Kind zu bekommen, das so ganz anders ist als erwartet. Und für viele betroffene Ehen und Familien ist der Alltag tatsächlich enorm belastend. Weil vieles anders ist. Weil man massiv gefordert ist. Weil Ängste und Sorgen mit im Haus wohnen: Warum ist es so schwer, Weggenossen und Freunde zu gewinnen? Finden wir einen guten Platz zum Arbeiten und zum Leben für unsere Söhne, wenn es Zeit für sie ist, eigene Wege zu gehen?
Und manchmal auch, weil man einsam ist – können die anderen wirklich verstehen, wie unser Leben sich anfühlt?
Die Dankbarkeit überwiegt bei weitem. Deswegen will ich weiterhin von Herzen einladen, dass wir immer mehr entdecken: Menschen mit Behinderung gehören dazu. Und sie haben uns etwas zu sagen.