Habe ich was verpasst?
Besonders dankbar bin ich für die Menschen, insbesondere für das Schlossteam mit seinen liebenswürdigen Mitbewohnern, mit denen ich jeden Tag gelebt und gearbeitet habe, und für die Gespräche mit Jung und Alt. Meinen beiden sehr unterschiedlichen WG-Kumpanen verdanke ich witzige und unbezahlbare Erfahrungen. Der eine mit einem Hunger für drei, der andere mit Kommunikationsproblemen (Muttersprache Spanisch). Ein Beispiel: Wir verständigten uns, dass jeder eine Familie zum gemeinsamen Spieleabend einladen solle. Nach ein paar Minuten kam unsre Nachbarin mit ihm zurück und fragte, warum er bei IHR spielen will…
Sich zeigen und bei sich bleiben
Eine intensive Erfahrung war für mich die Qualität der persönlichen Gespräche. Anfangs war mir das sehr unangenehm. Es ist mir schon immer schwergefallen, auch engen Freunden Persönliches anzuvertrauen, und hier sollte ich mit Männern, die ich erst kennengelernt hatte und die doppelt so alt waren wie ich, über meine Angelegenheiten reden! Im Laufe der Treffen habe ich erkannt, welchen Wert es hat, meine inneren Gedanken, meine Kämpfe in Worte fassen zu lernen und von den „Älteren“, denen ich mich geistlich und intellektuell unterlegen fühlte, zu erfahren, mit welchen Dingen sie in ihrem Glaubensleben ringen und dass sie wie ich Schwächen und Ängste haben. Auch sie stehen vor Herausforderungen und sind vor Gott ganz klein. In der Stillen Zeit lernte ich, mich nicht auf die Fehler der anderen zu konzentrieren, sondern mir selber auf die Spur zu kommen. Und ich nahm meinen Ärger in den Blick, statt ihn in mich hineinzufressen. Vieles, auch unangenehme Erkenntnisse habe ich aufgeschrieben, um es mit den anderen zu teilen, sprach dann aber nur einen Teil aus. Anfangs war ich enttäuscht und sauer, dass mein Bedürfnis nach Austausch über den Glauben und die Stille in meiner WG kein Echo fand. Ich war morgens beim Stille-Auftakt der einzige, der regelmäßig um halb sieben auftauchte, obwohl ich viel Energie investierte, um die anderen zu motivieren. Allmählich aber wurde mir bewusst, dass die Stille nicht dazu da ist, gut vor den anderen dazustehen, sondern für mich und meine Beziehung zu Gott gedacht ist. Es tat gut, morgens Teil eines Jogging-Tandems zum Stille-Auftakt zu werden. Der Rhythmus gab mir eine klare Tagesstruktur und hielt (zum Glück) das ganze Jahr.
Die Liturgie des Alltags einüben
Fest eingeprägt hat sich mir die Glocke der Kapelle, die mehr oder weniger pünktlich um 12 Uhr zum Mittagsgebet ruft. In der Liturgie steht an jedem Wochentag ein anderes Thema im Mittelpunkt. Als ich an einem Freitag kurzfristig das Mittagsgebet übernommen hatte und aus der Küche in die Kapelle eilte, waren statt der sonst fünf Menschen 30 Leute da, darunter eine Gruppe Kirchenvorstände. Unser Freitagsgebet ist persönlicher als die Fürbitten an den anderen Wochentagen, denn man teilt Erlebnisse der letzten Woche und entzündet zum Dank eine Kerze. An diesem Mittag kam eine besonders eindrückliche und intensive Stimmung auf, weil sich die Besucher aktiv am Erzählen beteiligten.
Besonders genossen habe ich die Sonntagsbegrüßungen: Die Liturgie, die dem Abend einen Rahmen gibt, das leckere Essen, das man zusammen vorbereitet, die Gemeinschaft, die zusammenkommt, und wie man den Abend mit vollem Magen und einem guten Tropfen Wein ausklingen lässt.
Der Lockdown als Herausforderung
Ich bin dankbar, wie ich durch die Anfänge der Corona-Krise getragen wurde. Daniel musste in Quarantäne, Simon hatte eine Knie-OP und ich stand plötzlich in der Pflicht, für uns zu sorgen und den Haushalt zu organisieren (Kochen, Waschen, Putzen…). Bald kam uns zugute, dass wir zu einer großen Familie gehören: Jeden Tag wurde irgendwo für uns mitgekocht. Durch Corona sind unserer Mannschaft die eine oder andere OJC-Veranstaltung verloren gegangen (oder erspart geblieben). Bis heute fürchte ich oft, etwas zu verpassen; und dass meine Jugendjahre vorbeiziehen könnten, ohne dass ich „etwas erlebt“ habe. Manchmal fehlt mir das Verständnis meiner Mitmenschen dafür, wie schwer mir das Einhalten der Kontaktbeschränkungen fällt. Zoomkonferenzen sind kein Ersatz, maximal ein kurzer Trost. Der gut geregelte Alltag mit Arbeit und Freizeitgestaltung hat mir geholfen, der „Corona-Depression“ zu entgehen. Ich kann und möchte darauf vertrauen, dass Gott alles in seinen Händen trägt und mir noch genug Zeit bleibt, „jung“ zu sein.
Seit dem Mannschaftsjahr habe ich das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. Ich habe mich immer mega auf OJC-Ehemalige gefreut. Wann immer ich außerhalb der Kommunität welche getroffen habe, war direkt eine Verbindung und ein gemeinsames Thema da. Auf die Frage, ob ich als Ehemaliger zu Besuch kommen könne, bekam ich die Antwort: „Klar, du gehörst doch zur Familie, du kannst immer kommen.“ Das Angebot habe ich seither auch schon ein paar Mal genutzt.