Ilan Brunner

Schalom, Ilan!

Abschied von einem Freund

Schalom, Ilan! Unser guter Freund in Israel Ilan Brunner ist am 13. April 2023, kurz vor seinem 89. Geburtstag verstorben. Seit dem Jahr 2000 sind wir mit ihm herzlich verbunden und haben eine Vielzahl von Begegnungen zwischen Israelis und Deutschen, Alten und Jungen, in Deutschland und in Israel erlebt. Mit seinem großen liebenden Herzen, seinem Humor und seinem besonderen Charisma war er uns ein väterlicher Freund und verlässlicher Begleiter, den wir sehr vermissen.

Wir sind dankbar für Ilans reiches Leben und werden sein Anliegen, die Versöhnung zwischen Israel und Deutschland, besonders unter jungen Menschen, gerne weiterführen.

1999 gründete Ilan gemeinsam mit seiner Frau Esti (†2010) das „Disraelis“-Projekt (Disabled Israelis) und regte an, dass Opfer von Anschlägen und beim Militärdienst verwundete junge Soldaten zu einer „Auszeit vom Terror“ eingeladen werden. Weit über 1000 junge Erwachsene hat er nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz vermittelt.

Weil Ilan Deutsch sprach, wurde er als Reserveoffizier beim Militär zum Begleiter und Übersetzer für deutschsprachige Gäste. Häufig wurde ihm die Frage gestellt: „Was können wir für Israel tun?“ Diese Frage wurde für ihn zum Auslöser für die Disraelis-Initiative.

Als OJC hatten wir seit 2002 eine ganze Reihe Disraelis-Gruppen zu Gast und Gruppen zu Gegenbesuchen nach Israel gebracht. Das waren überaus bewegende Begegnungen in Reichelsheim und Weitenhagen. Viele junge Deutsche sind zu Freunden Israels geworden und haben eine neue Sicht auf dieses Land, seine Geschichte und seine Menschen gewonnen. Und viele der Israelis kehrten als Botschafter für ein anderes Deutschland in ihre Heimat zurück.

Auch die Begegnungen mit israelischen Eltern, die Kinder bei Anschlägen und Kämpfen verloren haben, haben einen tiefen Eindruck hinterlassen und für manche Israelis den Beginn eines Heilungswegs markiert.

„Durch diese Begegnungen geschieht ein Abbau von Vorurteilen und durch das Kennenlernen entstehen neue Beziehungen zwischen unseren Völkern, ja eine Mauer der Freundschaft,“ sagte Ilan in einer Rede anlässlich des 9. Novembers 2008 in Reichelsheim.

1934 wurde Ilan in Prag als Kind jüdischer Eltern geboren. Seine Mutter war eine bekannte Solo-Geigerin. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1938 veränderte sich das Familienleben radikal. Ilan erzählte von seinem Schock als Kleinkind, als der kostbare Konzertflügel durch deutsche Besatzer aus der elterlichen Wohnung brutal abtransportiert wurde. Ebenso vom erzwungenen Umzug aus der Wohnung an der Moldau mit Blick auf den Hradschin in eine kleine Altstadtwohnung, die sie mit drei weiteren Familien und ihren Kindern teilen mussten.

1939 schickten die Eltern den Fünfjährigen und seinen älteren Bruder mit einem Kindertransport nach England. Dass seine Eltern die beiden Kinder alleine in die Fremde schickten, haben ihnen Freunde und Verwandte sehr übel genommen. Damals wusste noch niemand, dass genau das lebensrettend sein würde. Als Ehepaar „ohne Kinder“ konnten die Eltern noch vor der Deportation der Prager Juden nach Israel auswandern, während viele ihrer Verwandten und Freunde im Holocaust ermordet wurden.

In England wurden die Brüder gut aufgenommen. Ilan aber erlebte diese Zeit – ohne die tröstliche Nähe von Vater und Mutter – als überaus schwer. Umso größer war die Freude, als sie nach dem Krieg in Israel Wiedersehen feiern konnten.

Ilan war ein Mann der Zeitenwende. Als Opfer der Naziverfolgung hat er das Trauma seiner Kindheit verwandelt in eine Frucht der Versöhnung und der Liebe. Er war ein wunderbarer Mensch und erreichte das Herz von unglaublich vielen Menschen.

In seinen Lebenserinnerungen schreibt er, dass er in England von seiner Pflegemutter ein übergroßes Maß an Liebe und Fürsorge erhalten hat. Das und die Liebe seiner Frau bewogen ihn dazu, die Liebe und Fürsorge, die er empfangen hatte, an andere weiterzugeben und sein Leben dafür einzusetzen, Brücken zu bauen, damit Versöhnung zwischen Völkern möglich wird.

2014 wurde Ilan Brunner der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für seinen Einsatz für Versöhnung und Völkerverständigung verliehen. Im gleichen Jahr erhielt er den ojcos-Stiftungspreis für sein und Estis besonderes Engagement. Diese Versöhnungsarbeit sollte so der Öffentlichkeit bekannt werden in der Hoffnung, dass auch kommende Generationen ermutigt werden, den Weg der Versöhnung zu wählen, damit Verständigung und Frieden in der Welt des 21. Jahrhunderts wachsen.

Seine große Freude war es, die „Kinder Israels“ von heute zu erleben. Die geplante Vernichtung des jüdischen Volkes war nicht gelungen. Sein großes Glück war, dass er die Freude und den Übermut „seiner“ Kinder Israels, seine eigenen drei Kinder, seine gut zehn Enkel und einige Urenkel miterleben konnte. Mit dem überwältigenden Dank für dieses Lebensgeschenk und einem tiefen Vertrauen auf seinen Schöpfer endet sein letzter Brief an seine Freunde und Weggefährten.

Wir behalten ihn in dankbarer Erinnerung.

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