Zu Besuch in der Darmstädter Synagoge
Im Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland besuchten wir als OJC-Gemeinschaft zusammen mit dem Jahresteam im Oktober Daniel Neumann und die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Darmstadt. Er nahm sich einen ganzen Nachmittag Zeit für uns und erzählte während der Besichtigung der Synagoge lebhaft und gespickt mit Anekdoten aus dem Talmud von der jüdischen Gottesdienstordnung, von der Bedeutung der Thorarollen und vom Leben und Glauben in der jüdischen Gemeinde. In einem zweiten Teil brachte er uns den jüdischen Festkalender näher und berichtete, wie die einzelnen jüdischen Feiertage gefeiert werden. Wir durften eine Thorarolle ansehen, aus der während der Gottesdienste gelesen wird, und hörten von dem Fest, das jedes Mal gefeiert wird, wenn der letzte Abschnitt der Rolle gelesen und erneut „im Anfang…“ begonnen wird.
Die bunten Fenster der Synagoge haben eine besondere Bedeutung: aufgenommen in den roten Glasfenstern auf der einen Seite die schmerzhafte Vergangenheit, in den blau-weißen Fenstern (den Farben Israels) auf der gegenüberliegenden Seite ihre Hoffnung auf Zukunft. Im Grün-Blau an der Stirnseite der Blick in die Gegenwart, vermischt mit roten Einsprengseln, sieht man: Es ist nicht alles gut, aber jüdisches Leben grünt. Es lebt, verbunden mit der Hoffnung, dass sich die Pogrome der Vergangenheit nicht wiederholen.
Besonders anschaulich wurde, dass die Synagoge eher ein Lebenshaus denn ein sakraler Raum ist, in dem ehrfürchtig-andächtige Ruhe herrscht. Wo die Architektur vieler christlicher Kirchen die Größe und Herrlichkeit Gottes betonen möchte und der Mensch in ihnen nahezu verschwindet, verweist die Synagoge auf die Größe des Menschen in den Augen Gottes. Der Mensch ist groß in diesem Raum, und für die Mitglieder der Gemeinde ist die Synagoge ein echtes Zuhause, eine Art Wohnzimmer der Gemeinde. Hier wird Gott als der ganz Nahe gesucht, der Selbstverständlich-da-Seiende, der, mit dem sie täglich unterwegs sind. Er ist – und Er ist da.
Hier findet die Liebe zur Thora, zu den guten Ordnungen im Leben, und die Dankbarkeit und Freude über Gottes Erbarmen über Israel durch die Geschichte hindurch auf vielerlei Weise Ausdruck in Lesungen und Festen. Deshalb geht es zuweilen auch sehr wuselig zu, wenn an manchen Festtagen mit der Thorarolle im Arm durch die Synagoge getanzt wird. Das spricht von einer tiefen Liebe zum Wort Gottes und von der Verbundenheit mit der Geschichte des eigenen Volkes, die eine Geschichte des Bundes mit Gott und der Führungen durch Gott ist.
In dieser Begegnung durften wir einen kleinen Ausschnitt des Reichtums jüdischen Glaubens und jüdischer Kultur erleben, haben Unterschiede zum eigenen Glauben entdeckt und gingen voller Dankbarkeit über das, was uns verbindet: Wir glauben an denselben Gott. Er ist das Fundament, auf dem wir stehen. Wir Christen werden getragen, wir sind eingepfropft, denn die Wurzel trägt uns, nicht wir tragen die Wurzel.