Die Versuchung der Macht
Weiche von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du denkst nicht göttlich, sondern menschlich! (Mt 16,23). Dieser Satz muss Simon Petrus ins Mark getroffen haben. Dabei hatte er es nur gut gemeint. Er wollte nicht, dass Jesus leidet. Außerdem: Hatte er nicht gerade von seinem Herrn ein dickes Lob erhalten für sein von Gott offenbartes Bekenntnis: Du bist der Christus? Der Messias also, auf den alle so lange gewartet hatten, der Israel befreien sollte. Was war daran menschlich, dass Petrus den Messias vor Leiden und Tod bewahren wollte? Er war doch berufen, die Macht zu ergreifen und die zu bestrafen, die sein Volk unterdrückten? Lastete nicht die Verheißung auf ihm, dass er dem Verführer den Kopf zertreten würde? (siehe 1 Mo 3,15)
Warum verwies Jesus Petrus mit den gleichen harten Worten, die er bei seiner Versuchung in der Wüste (Mt 4,10) schon einmal ausgesprochen hatte?
Jesu Versuchung
Der Heilige Geist hatte Jesus in die Wüste geführt, kurz nachdem er durch die Stimme des Vaters in seiner Taufe der Welt praktisch als Sohn Gottes vorgestellt und durch den Heiligen Geist zum König geweiht worden war. Geweiht wie David zum König eines Reiches, das aber noch von einem anderen Herrscher regiert wurde. Diesem Herrscher, auch Fürst dieser Welt genannt, sollte durch Jesus die Macht genommen werden. Nachdem Jesus 40 Tage fastend in der Wüste verbracht hatte, näherte Satan sich Jesus, um ihn zu versuchen: Bist du Gottes Sohn, so gebiete, dass diese Steine Brot werden. Bei den Menschen hatten die Versuche, sich selbst zu nehmen, was sie brauchten, oft gefruchtet. Und was war Jesu Antwort? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Ja, auf diese Art und Weise hatte Gott selbst sein Volk in der Wüste auf die Probe gestellt, damit es das Hören auf seine Worte lerne. Jesus war gekommen, wie die Propheten vor ihm, um die Menschen wieder an die Worte des Vaters zu erinnern, um ihnen zu helfen, diesen lebensspendenden Worten statt denen des Verführers zu gehorchen.
Auch Satan versuchte es mit dem Wort Gottes. Noch war Jesus bei ihm und ließ sich auch von ihm auf die Zinne des Tempels führen. Dort stehend forderte er Jesus auf, von der Stelle zu springen, an der bisher die Priester die Tieropfer für die Sünden des Volkes dargebracht hatten. Ein Opfer, das Jesus als der endgültige Hohepriester dereinst durch seine Selbsthingabe ersetzen sollte. Seinen Engeln gebietet er um deinetwillen: Sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Und wenn Jesus gesprungen wäre? Hätte es das „Zeichen“ werden können, das die Sadduzäer wenig später von ihm fordern sollten, damit die Menschen endlich in Jesus den Messias erkennen würden? Oder hätte sein Ungehorsam einfach den Tod bedeutet für ihn und für die, die durch seinen Opfertod gerettet werden sollten? Jesu Antwort war eindeutig: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.
Einen letzten Anlauf nahm der Versucher noch: Der Thron, die Herrschaft über das Reich Gottes war Jesus zugesagt. Herrschen sollte Jesus also. Würde es dem Verführer gelingen, Jesus durch einen schnelleren und leichteren Weg zur Herrschaft zu locken? Einen ohne den Umweg des Leidens, des Kreuzes, und ohne die Zusammenarbeit mit Jüngern, die wohl ewig brauchen würden, um die Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes in dieser Welt zu verbreiten? Unter seiner Führung könnte Jesus die Herrschaft über die Welt viel schneller übernehmen!
Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Und nun bekommt er die gleiche Antwort, die später auch Petrus verkraften muss: Weg mit dir, Satan! – Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Jesus wird den Weg des Vaters gehen, den einzigen Weg, der dahin führen wird, dass ihm die Herrschaft über das Reich Gottes übergeben wird.
Zurück zu Petrus
Wie konnte Jesus jemanden, der ihm nachfolgen wollte, so angreifen? Der den wahren Messias erkannt, und dem Jesus gerade die „Schlüssel des Himmelreiches“ verheißen hatte? Die bloße Erkenntnis, dass Jesus der Sohn Gottes ist, garantiert offenbar noch nicht, dass man mit seinem wahren Wesen vertraut ist und den einzig gangbaren Weg erkennt, auf dem das Reich Gottes errichtet werden kann.
Alles, was Petrus kannte, waren die alten Erzählungen und die Hoffnung auf das Kommen des Messias. Und trotz aller Hinweise im Alten Testament auf den leidenden Gottesknecht bleibt der Weg des Leidens und der Selbsthingabe ein Mysterium für viele Menschen – bis heute.
Und so waren die Worte, die in dem Moment aus Petrus heraussprudelten, die Worte des Verführers. Worte, gesprochen genau in der Situation, in der Jesus versuchte, den Jüngern das Mysterium etwas näher zu bringen und ihnen den wahren Plan zu offenbaren, der zum Heil führen würde (siehe Matthäus 16). Ein Weg, vor dem er selbst Angst hatte. So musste er diese scharfen Worte benutzen, vielleicht nicht nur, um Petrus zurechtzuweisen, sondern um der erneuten Versuchung, den einfacheren Weg zu gehen, zu widerstehen.
Und Petrus? Er lernte zu unterscheiden, auf wessen Stimme er hören sollte, bis er bereit war, seinen eigenen Weg des Gehorsams und der Hingabe zu gehen und sein eigenes Kreuz auf sich zu nehmen.