
Wer wandelt das Klima?
Mit einem randvoll gepackten Handkarren voller Gemüse, Obst, Nudeln, Eiern und Mehl, warme Sonne im Gesicht und Herbstwind im Rücken schlendere ich dankbar und singend von der Erntedankfeier den Schlossberg hinunter. Der Schöpfer und Erhalter dieser Erde hat uns reichlich mit allem versorgt, was wir nötig haben, und überfließend mehr. Und ich höre Sein herzliches Lachen im Hintergrund: „Ich habe euch eingeladen! Es war mir ein Vergnügen!“ Wir sind Beschenkte! Maßlos geliebt und versorgt mit Gutem, bis es überläuft. Nun bin ich „verabredet“ mit einem deutschen Unternehmer, Herrn Gratzel, zu einem Klimasondierungsgespräch. Leider werde ich ihn nicht persönlich treffen, aber er ist mir vor einigen Wochen in einem deutschen Nachrichtenmagazin 1 begegnet und begleitet mich seitdem.
Ganz schnell holt er mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Gletscher schmelzen, Hunderttausende leiden unter Dürrekatastrophen, Millionen an den Folgen schwerer Überschwemmungen, und Schuld daran, meint er, sei allein der Mensch, der schon so viel giftiges CO2 in die Atmosphäre geblasen habe, dass es unsere einzige Überlebenschance sei, durch einschneidende persönliche, politische und wirtschaftliche Maßnahmen den Planeten zu retten. Er weiß, wovon er spricht, und er tut, was er sagt, scheut keine Mühen oder Kosten. Vor einigen Monaten hat er sein Leben komplett umgestellt: Er fährt heute ein Elektroauto, benutzt für seine häufigen Dienstreisen die Bahn statt Flugzeug und ernährt sich saisonal und regional und weitgehend vegetarisch. Alles in allem konnte er damit seinen CO2-Ausstoß von 27 Tonnen auf sage und schreibe 7,8 Tonnen pro Jahr reduzieren. Das nötigt mir Respekt ab! Das Erschrecken über die fatalen Folgen des eigenen Lebensstils hat ihn zu der Entscheidung gebracht, alles auf eine Karte zu setzen: „Ich möchte mein verbleibendes Leben und meinen Besitz, mein Vermögen nutzen, damit die Erde dank mir nicht in einem schlechteren, sondern in einem besseren Zustand ist.“ [^2]
Ich frage mich, wann ich in letzter Zeit einem Menschen begegnet bin, der eine so radikale Umkehr vollzogen hätte. Von seinem offensiven Elan könnten wir Christen uns eine Scheibe abschneiden, weil er ernst macht mit seiner Überzeugung und sich die Konsequenzen etwas kosten lässt. Er erinnert mich an Zachäus, der vierfach zurückzahlte, was er andern unrechtmäßig genommen hatte. Die Wortwahl des Journalisten, der ihn portraitiert, ist auffallend religiös: Von (Umwelt-)Sünden und (Öko-)Schuld ist die Rede, von falschem Ablasshandel und rechter Buße (!), am Ende gar von Mission …
Hat der Klimaschutz, der unsere Gegenwart und unser Lebensgefühl in hohem Maße prägt und die politischen Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit maßgeblich mitbestimmt hat, tatsächlich religiöse Züge? Ich frage mich, welche Autorität, welches Bekenntnis dann im Mittelpunkt dieser Religion stehen könnte … Wer teilt uns Menschen unser CO2-Kontingent zu, und wem sind wir zu Rechenschaft verpflichtet, wenn wir es überschreiten? Beeindruckend ist jedenfalls, dass Herr Gratzel in den Folgen seines Konsumverhaltens seine Schuld erkennt und ernsthaft bereit ist zur Umkehr, bereit für seine Schuld zu bezahlen! Er hat sozusagen seinen Anteil an der Misere der Menschheit erkannt und zieht die Notbremse. Um sicherzugehen, hat er sogar über seinen Tod hinaus vorgesorgt: Der größte Teil seines Vermögens „soll dazu dienen, den Klimawandel zu begrenzen und Gratzels Ökoschuld zu tilgen“[^3].
Viele Christen sind in ähnlicher Weise – wenn auch nicht ganz so radikal – bemüht um Nachhaltigkeit, um Bewahrung der Schöpfung, um einen umwelt- und klimaschonenden Lebensstil. Und auch wir in der Kommunität versuchen, der Konsumgesellschaft einen einfachen Lebensstil entgegenzusetzen[^4], sehr anfänglich zwar und sehr unvollkommen. Sind wir radikal genug? Heute am Erntedanktag komme ich neu ins Nachdenken. Was würde der Schöpfer uns engagierten Geschöpfen zu sagen haben?
„Denkt nicht zu klein von MIR und zu groß von euch Menschen“, könnte ER vielleicht sagen. „Glaubt ihr wirklich, ihr könntet durch euer eingespartes CO2 ausreichend bezahlen für die Fülle des Lebens, die ICH euch geschenkt habe? Wo wart ihr, als ICH die Erde gründete? … Wisst ihr, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat? (Hiob 38,4f) ICH bin … der HERR, der da ist und der da war und der da kommt (Offb 1,8). ICH bin das große Ja zum Leben, das große Ja zum Menschen! Deshalb habe ich vorgesorgt. Mit Äpfeln, Kürbissen, Mais und Gerste, Pfannkuchen, Schnitzeln und sogar Schokolade! Aber auch mit Sonne, Wind und Wasser, Holz und Kohle, Gas und Öl, und mit der Kraft der Atomkerne, die der Mensch in der Lage ist, nutzbar zu machen. Es ist wahrlich genug für alle da! Seid kreativ damit! Was euch und der Schöpfung zum Schaden wird, ist nicht das CO2, das ihr ausatmet, sondern euer hartes Herz, eure Habgier, eure Lieblosigkeit, eure Maßlosigkeit. Und auch dafür habe ICH einen Weg der Erlösung gefunden, ICH bin ihn selbst gegangen: Die Heilung der verkrümmten, vermessenen, versündigten Menschheit ist auf Golgata geschehen. Kehrt um und sucht sie dort! Und entdeckt, was es heißt, dankbar zu empfangen, was euch geschenkt ist, und fröhlich und großzügig mit anderen zu teilen! Geht verantwortlich mit allen Ressourcen um, aber tut es aus Dankbarkeit, nicht aus schlechtem Gewissen. Gebt euer Bestes, damit alle Menschen auf dieser Erde genug zum Leben haben, aber lasst das Klima MEINE Sorge sein. Die Rettung der Welt ist nicht eure Aufgabe. Mit der ganzen seufzenden Schöpfung dürft auch ihr euch sehnen nach dem Offenbarwerden der Kinder Gottes und der Befreiung der Schöpfung aus ihrer Vergänglichkeit, wenn ICH die Erde ihrer Vollendung zuführe (Röm 8, 21). Bis dahin gilt meine Zusage: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (1 Mo 8,22).
DER SPIEGEL Nr. 34, S. 44-48 „Einer für alle“ von Uwe Buse / 18.8.2018 ↑
ebd., S. 44 ↑
s. o. S. 48 ↑
s. Salzkorn Nr. 274/2018, S. 8 ↑