Araber und Juden Tür an Tür

Zeitdokument Nr. 05 zum 07. Oktober 2023 von Lindsay Greaves

Physisch waren wir nicht bedroht, denn in Jerusalem gab es vergleichsweise wenig Raketenschüsse. Wenn die Sirenen heulen, gehen wir mit den Nachbarn in die inneren Treppenhäuser des Blocks und warten auf das Bumm der eisernen Kuppel, die die Raketen noch am Himmel detonieren lässt. Dann geht jeder wieder seiner Arbeit nach.

Dennoch: Der Schock sitzt tief! In vielen hat die grausame Barbarei am 7. Oktober Erinnerungen an die Shoah wachgerufen. Angesichts des lange geschürten Hasses wird es für uns und für die palästinensische Bevölkerung nur dann eine Normalität geben, wenn die Hamas bezwungen ist. In diesem Konflikt geht es zwar um Territorium, aber nicht um eine Zweistaatenlösung, wie Menschen im Westen gerne glauben. Es ist ein spiritueller Krieg – Dschihad – mit dem Ziel, das gesamte Land zu unterwerfen und wieder zu islamisieren. Für Islamisten ist der jüdische Staat seit seiner Gründung 1948 ein Anathema, das Volk der Palästinenser ist in diesem blutigen Konflikt nur das Bauernopfer.

Wir sind erst vor zwei Jahren aus England umgesiedelt. Mein Mann John ist mütterlicherseits Jude und israelischer Staatsbürger. Lange haben wir über einen Umzug nachgedacht und gebetet, und 2021 „grünes Licht“ von Gott dazu erhalten. Wir engagieren uns in einem Seelsorge-Zentrum für Christen jüdischer, arabischer und internationaler Herkunft. Wir begleiten sie in Jüngerschaft und Einzelseelsorge auf biblischer Grundlage. Mit einem ebenfalls jüdisch-arabisch-internationalen Team empfangen wir außerdem Pilger am Gartengrab. Das ist zurzeit, da die Touristen ausbleiben, geschlossen. In den Hotels sind aus dem Süden des Landes evakuierte Israelis einquartiert; in Haifa die aus Nord-Galiläa, die vor der Hisbollah geflüchtet sind. Meine Freundin Yudit weigert sich noch, ihren Kibbuz im Norden zu verlassen. Mal sehen, wie lange das gut geht.

Unsere Nachbarin eine Treppe höher studiert morgens mit bangem Herzen die Listen der Gefallenen, denn ihr Sohn dient als Soldat in Gaza. Der ganze Block kennt ihn seit der Kinderzeit: Er liebt seinen zivilen Beruf und seine Frau erwartet ein Kind. Er selbst ist kein Jude, aber er glaubt, dass Gott einen Plan mit Israel hat. Unsere Umgebung ist durchmischt, Araber und Juden leben hier Tür an Tür, bisher weitgehend friedlich. Nun zieht die Angst ein, weil immer mehr Araber zur Hamas halten und viele die Gräueltaten vom 7. Oktober einfach leugnen. Sorgen macht mir auch die wachsende Ablehnung Israels in der jungen Generation in Amerika, England und Europa. Der immer unverblümtere Antisemitismus erinnert mich an das Deutschland der 1930er Jahre. Sogar unter Christen nehme ich zunehmendes Desinteresse am Volk Israel wahr – in der Ersatztheologie vieler Kirchen hallt die Aversion der Welt gegen das Volk des ersten Bundes wider. Meine Hoffnung in diesen Tagen ist Psalm 83.

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