Welches Zukunftsbild werden die Jungen haben?
Wir wollten mit Freunden an die Küste nach Aschkelon, etwa 7 km weit vom Gaza-Streifen, und waren schon spät dran. Deswegen erreichte uns die Warn-SMS über Schießereien noch in Jerusalem. Als wir aus den Nachrichten vom Massaker erfuhren, wurde uns ganz anders, denn am Strand hätte wir uns nicht in Deckung bringen können. Besonders bedrückend ist das Gefühl der Ohnmacht – sind wir dem Terror so schutzlos ausgeliefert? Obwohl die Kontrollen an der Grenze so engmaschig sind, wie ich es aus meiner Militärzeit kenne? Rohe Gewalt bricht sich Bahn, und wir sind ihr Zielpunkt.
Meine Tochter hatte gerade den Militärdienst quittiert, jetzt wurde sie wieder eingezogen. Zwei ihrer Kameraden wurden getötet, auch der Sohn meines Freundes hat sein Leben verloren. Jede Familie ist betroffen. Das Land wird konstant mit Raketen beschossen, neuerdings wird aus dem Jemen gefeuert. Über 18.000 israelische Binnenflüchtlinge sind im Land, jeder macht sich nützlich, wo er kann, und lebt so normal wie möglich. Das ist eine Stärke. Und eine Gefahr.
Als Therapeut und Lebensberater merke ich, wie der Aktionismus die innere Lähmung nur notdürftig überdeckt. Mein Team bildet sich nun weiter in Schock- und Trauma- Intervention. Sonst kommen Menschen zur Einzel-und Familienberatung, mit Suchterkrankungen, Depressionen, Ängsten und in unterschiedlichen Lebenskrisen. Die scheinen jetzt alle wie weggewischt. Nicht nur die Klienten, auch wir befinden uns in einem seltsamen Zustand: Der hohe Adrenalinspiegel betäubt die Schmerzen, die Geschäftigkeit generiert eine trügerische Zuversicht, Stimmungsschwankungen machen uns reizbar und entfremden uns von uns selbst. Trauerarbeit, Angstmanagement und wichtige Prozesse für die Verarbeitung unterbleiben im permanenten Ausnahmezustand.
Wie steigt man aus der Endlosschleife von Verdrängung, Bagatellisierung, Kompensation, der plötzlichen Wut und Panik aus? Wie finden wir Wege zueinander? Es ist wichtig, für sich zu sorgen und Tempo rauszunehmen: Pausen, Schlaf, Sport und Bewegung – ein guter Rhythmus im Alltag. Interessanterweise tun sich fromme Menschen schwerer damit, aufsteigende Gefühle wahr sein zu lassen, sie möchten sie lieber schnell wegbeten. Am meisten fremdeln die muslimischen Mitbürger damit, um therapeutische Hilfe zu bitten.
Ich kam als Jugendlicher aus der atheistischen Sowjetunion nach Israel. Meine jüdische Identität habe ich durch Jesus neu verstehen und annehmen können. Daraus schöpfe ich Hoffnung. Meine größte Sorge gilt der jungen Generation, die in ständiger Bedrohung aufgewachsen ist, einen harten Lockdown unter Covid hinter sich hat und jetzt den Krieg erlebt. Welches Zukunftsbild werden sie haben? Wie begegnen sie dem Unverständnis und der zunehmenden Feindseligkeit gegen Israel und Juden, die uns weltweit entgegenschlägt? Sogar aus ehrwürdigen Institutionen wie der UNO oder der Elite-Uni Harvard?
Die Gewissheit, dass Gott uns nicht alleine lässt, dass er alle Tränen abwischen will, gibt mir Kraft, auch in meinem Beruf. Und die Zusage Jesu, dass er uns seinen Frieden gibt. Von ihm lernen wir, sogar unsere Feinde mit anderen Augen zu sehen: sie sind wie wir Kinder des Vaters im Himmel. Auch sie brauchen Umkehr, Gnade, Herzenswandlung – Gott will mit uns allen seine Geschichte schreiben.