Hineni – Bin da!

Predigt zum Tag der Offensive 2024

Wir lesen die Weisungen des Auferstandenen an Himmelfahrt an seine Jünger:

Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt! Denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden. Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken.
– Apg 1,4-10.

Zum Text aus der Apostelgeschichte 1,3-11 setze ich die Geschichte von der Berufung Samuels (1 Sam 3). In drei Aspekten berühren sich die beiden Texte:

  • Wir hören eine Zeitdiagnose. Ich bin dabei.
  • Wir vergewissern uns unserer Berufung. Ich bin da.
  • Wir hören geschwisterlichen Zuspruch.

1. Ich bin dabei: Eine Zeitdiagnose.

Ich musste schon etwas lächeln, als ich die Einladung zum TDO sah: „Auf geht’s ist der leitende Imperativ für uns Christen.“ Das ist typisch OJC. Die Apostel allerdings bekommen erst einmal ein Haltesignal: Halt, zurück nach Jerusalem. Wartet auf den Heiligen Geist. Und mit diesen Worten verschwindet Jesus vor ihren Augen. Da stehen sie und schauen ihm hinterher. Hinterhersehen! Es ist noch nicht die Zeit der vollmächtigen Kirche, die Zeit der Geistesgegenwart ist noch nicht angebrochen.
Auch die Samuel-Geschichte beginnt mit einer Zeitdiagnose: Zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem HERRN diente unter Eli, war des HERRN Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort und seine Augen hatten angefangen, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Von wegen „auf geht’s“. Es gibt kaum noch Offenbarung! Das lebendige Wort des Herrn versickert wie ein Bach in der Wüste. Die Leitung des Gottesvolkes, fast blind. Beschreibt das nicht auch unser Heute? Gottesdienste, blutleer, finden mehr oder weniger noch statt. Mitarbeiter der Kirche sind da, aber sie wissen nichts von Gott, sind blind geworden. Noch schlimmer, die Söhne des alten Priesters Eli, korrumpiert. Sie nutzen ihre Stellung zu Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch. Das Vertrauen in die religiösen Institutionen muss kaputt gewesen sein wie nie. So wie heute.

2. Ich bin da: Unsere Antwort auf Gottes Ruf

Ein Zweites verbindet diese biblischen Geschichten miteinander. Die Jünger mögen nur wenige sein, ein dezimierter Haufe, aber sie sind zusammengekommen. Der Knabe Samuel ist vielleicht zwölf Jahre alt, aber er ist da. Wie wir auch. Viermal sagt Samuel: „Ich bin da“. Hineni. Ich bin da, du hast mich gerufen. Aber der alte Priester Eli hat ihn nicht gerufen. Schlaf weiter, Samuel, leg dich wieder hin. Erst nach und nach merkt Eli, dass hier etwas Neues, Unerhörtes am Werden ist. Wir lauschen einer Berufungsgeschichte, die prozessual, nach und nach ausgerollt wird. Hier gibt es eine fromme Mutter, Hannah, die sich so sehr ein Kind wünscht und keines bekommt. Diese Hannah verspricht Gott: Wenn du mir ein Kind schenkst, dann gebe ich ihn dir wieder zurück, dann soll er Priester werden. Und Gott erfüllt Hannah diesen Wunsch. Aber Glaube versteht sich nicht von selbst. Hat sich noch nie von selbst verstanden. In unserer Predigtgeschichte heißt es: Aber Samuel kannte den HERRN noch nicht, und des HERRN Wort war ihm noch nicht offenbart. Was jetzt? Er hat dem HERRN gedient und ihn noch gar nicht gekannt? Der Knabe ist unbewusst in den Glauben hineingewachsen. Das klingt nach volkskirchlichen Zuständen. Hat die Mutter sich so gewünscht. Das war Traditionsglaube. Denkt bitte nicht gering vom Traditionsglauben. Der setzt u. U. den Rahmen, in dem es zu einem persönlichen Glauben kommen kann: Da kam der HERR und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und nach viermal „Ich bin da“ kann er antworten: „Rede, denn dein Knecht hört.
Wir segnen heute die neue Priorin der OJC ein. Wir ordinieren sie evangelisch gesprochen für diesen Dienst. Vor 26 Jahren wurde ich als Pfarrer ordiniert. Ich wurde gefragt: Bist du bereit? Und ich antwortete: Ich bin bereit. Hinter dieser Antwort steht das alte „Hineni“. Ich bin da! Die katholischen Priester antworten auch nur: „Adsum“: Ich bin da. Und wenn Sie in diesem Gottesdienst SEINEN Anruf hören, dann sagen Sie IHM einfach wieder Ihr „Ich bin da“. Heiner Wilmer, heute Bischof von Hildesheim, hat die Krise seiner Berufung einmal überwunden, als er sich eines Nachts an diese Worte erinnerte und sie Gott wieder sagte: „Da bin ich.“
Liebe Geschwister der OJC, meine Frau und mich hat das manches Mal getröstet zu wissen: Die OJC gibt es. Die sind da. Die stehen in ihrer Berufung. Genau so kommen die Jünger in der Himmelfahrtsgeschichte zusammen. Sie sind da in aller Gebrochenheit oder Kompliziertheit der Gemeinschaft. Sie sind da und hören auf den Meister. Das ist die Voraussetzung, dass etwas neu werden kann. Dass Aufbruch geschehen kann.

3. Oder? – Wir hören einen geschwisterlichen Zuspruch.

Der junge Samuel braucht den alten Eli, der ihm sagt, dass Gott ihn ruft. Die Jünger, die Jesus hinterhersehen, brauchen gleich zwei Engel, die ihnen sagen, was gerade geschehen ist. Da standen zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen. Das ist Himmelfahrt: Die Einsetzung des Gottessohnes in Kraft, mitten in dieser chaotischen, irren Weltgeschichte. Der Herr, ab jetzt unbegrenzt wirksam überall auf der Erde. Und dadurch kommen die Jünger wieder in Bewegung. Auf geht’s! Aber halt, erst einmal zurück nach Jerusalem, wo sie auf den Heiligen Geist warten sollen. Gerade wenn wir aufbrechen, wenn wir auf dem Sprung sind im aktivistischen Eifer, dann brauchen wir Zuspruch und Geistverheißung.

Ich rufe in Erinnerung, was Dietrich Bonhoeffer sagte: „Der Christus im Bruder oder in der Schwester redet lauter, deutlicher als der Christus in dir.“ Bonhoeffer sagte das in Bezug auf die Beichte. Aber dieses Wort von außen, das ich mir nicht selbst sagen muss, mir manchmal nicht mehr sagen kann, ist eine Grundfeste christlicher Gemeinschaft. Andere sprechen zuerst mit mir. Die Eltern, die Geschwister. Und aus den Zusammenhängen und ihrer Zuwendung finde ich zu einer eigenen Sprache. Auch den Glauben lernen wir nicht anders als dadurch, dass er uns in Worten und Taten übergeben, tradiert wird. Manchmal sind es zweifelhafte Gestalten wie der alte Eli: Wenn du noch einmal gerufen wirst, dann sprich: Rede Herr, dein Knecht hört. Und manchmal braucht es Engel, die uns deuten, was von Gott her uns geschieht. Und ja, die Engel können auch Jeans tragen und wir kennen sie schon länger. Geschwisterlicher Zuspruch ist so wichtig. Zuspruch als Dank an Konstantin Mascher und seine Frau Daniela. Zuspruch als Erinnerung an zwölf Jahre Arbeit. Und dann Zuspruch als Segen für Gerlind Ammon-Schad und ihren Mann Bernhard.

Liebe Geschwister, vergesst das nicht: Wir alle brauchen Zuspruch, brauchen immer wieder ein gutes Wort. Und diejenigen, die die Leitungsverantwortung tragen, die brauchen es umso mehr. Damit sie nicht an ihrer Leitungseinsamkeit – die ist unvermeidlich – Schaden nehmen. Dann können wir wirklich sagen: Auf geht’s!
Und dazu brauchen wir die Erinnerung an den Ursprung und die Kraft meines und unseres Glaubens:

Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben [Zeugnis geben] oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; genauso, wie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben. Das ist gewisslich wahr.
– Martin Luther, Kleiner Katechismus

Amen.

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