Zoom auf die Zoomer.

Theologische Spots auf die Weltsicht der Gen Z

Wer die Gen Z verstehen will, sollte ein wenig in ihren Schuhen laufen und das Leben durch ihre Brille betrachten. Wenn ich mich auf dieses Experiment einlasse, wandelt sich mein Blick fürs Ganze und die Welt sieht plötzlich sehr anders aus. Einige kurze „Blick-Fragmente“ dazu:

Die Welt wird ein unsicherer Ort

Das gesellschaftliche Rahmengerüst verändert sich mit einer für mich atemberaubenden, für die Gen Z aber normalen Geschwindigkeit: Die Abstände zwischen weitreichenden technologischen Innovationen betragen nicht mehr 50 oder 100 Jahre, sondern eher drei oder sechs. Entsprechend rasant verläuft auch die ökonomische, ökologische und politische Entwicklung. Werte-Polarisierungen nehmen zu.1 Gen-Zler haben erlebt, wie ihre Welt in wenigen Jahren von einer Krisen-Kaskade (Kriege, Pandemien, globale Erwärmung) überrollt wurde. Es ist ihnen daher suspekt, zu hören zu bekommen, sie lebten in der „sichersten aller Zeiten“. So fühlt es sich nicht an! Keineswegs. Die Zukunft ist für sie kein sicherer Ort. Wäre ihre Zukunft ein Sportverein – sie wäre akut abstiegsbedroht.

Konventionen schrumpfen

Das Geländer der „Normal“-Gewissheit zerbröselt: „Normal“ zu sein und normal zu leben war lange Zeit das Ziel vieler (auch junger) Menschen. Heute erscheint der Wunsch „normal“ zu sein moralisch fragwürdig. Als junger Mensch in der Spätmoderne zu leben bedeutet vor allem: Die Gestaltungsmöglichkeiten wachsen ständig, während der Hintergrund gesellschaftlicher Konventionen schrumpft.2 Das aber heißt konkret: Die Gen Z ist beständig damit konfrontiert, dass sie sich selbst optimieren oder neu erfinden soll. Größtmögliche Einzigartigkeit ist das Ideal. So wie ein Künstler ein Kunstwerk erschafft, wird erwartet, das Leben selbst als Kunstwerk zu erschaffen. Nur wenn das gelingt und diese Aufgabe dazu noch spielerisch, souverän und eben authentisch gemeistert wird, darf man mit Anerkennung rechnen. Wer allerdings nicht gerade als Künstler geboren wurde, den kann allein diese Aufgabe schon bis zur Überlastung erschöpfen.

Umdenken wird unausweichlich

Das Lebensgefühl der Gen Z ist wesentlich von der Erfahrung der Unsicherheit geprägt. Ihre Sorge um die psychische Gesundheit, der hohe Wert von Freundschaft und Freizeit zeugen davon, wie die Gen Z versucht, sich ihre eigenen Sicherheiten aufzubauen. Etwas muss sie ja dem omnipräsenten Gefühl der Bedrohung entgegensetzen. Sie ist aware. Sie hat ein feines Sensorium für Dinge, die nicht gut laufen. Und einen ausgeprägten „Bullshit-Detektor“ gegenüber leeren Versprechungen. Zudem haben die Menschen der Gen Z von Kindesbeinen an gelernt, das große Ganze zu beachten: Sie denken fast schon automatisch an die kollektiven und systemischen Folgen des eigenen Handelns. Sie haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Und viele von ihnen glauben, dass es sich lohnt, für „das Gute“ zu leben und sich das etwas kosten zu lassen: Für einen sinnvollen Job werden Gehaltseinbußen in Kauf genommen. Und wenn es das Weltklima und das Leben von Tieren schützt, dann ist vegane Ernährung kein unzumutbares Opfer mehr. Neben dem unmittelbaren Genuss (ja, die Gen Z hat eine hedonistische Ader; aber ist das nicht logisch, wenn der Weltuntergang droht?) wollen viele Gen-Zler das große Ganze erhalten. Die unbedachte Zerstörungs- und Verschwendungspraxis früherer Generationen wollen sie nicht mehr durchgehen lassen. Und auch ihre Sensibilität für Rassismus, Sexismus und andere Diskriminierungsformen zeigt, dass sie ernstmachen mit der Würde eines jeden Menschen. Die Gen Z weiß so gut wie keine andere, dass dafür Änderungen bitter nötig sind. Und sie weiß, dass niemand als sie selbst diese Entwicklungen anstoßen wird: Es gilt jetzt zu handeln.

Tragfähige Narrative im Generationengespräch

Wie nun lässt sich „diese Generation“ im Licht göttlicher Wirklichkeit begreifen?
Nicht selten schwingt in Betrachtungen von uns „Alten“ neben viel Unverständnis eine gehörige Prise Angst mit: Stellt die Gen Z mein Leben in Frage? Deckt sie unsere Lebenslügen auf? – Die folgenden Gedanken stehen nicht außerhalb dieser generationellen Befangenheit. Sie wollen im Licht biblischer Weisheit konstruktive Anknüpfungspunkte für ein intergenerationelles Handeln suchen:

Handlungsbedarf für das Diesseits

Eine Grundtendenz, die sich im Gen-Z-Lebensgefühl widerspiegelt, ist der Hang zur Diesseitigkeit. So konsequent wie keine Generation vor ihnen lebt die Gen Z in einem strikten „immanenten Rahmen“. Verknüpfungen mit den alten, raum- und zeitüberwölbenden Großerzählungen sind nur lose. Und wenn, dann werden sie eher von Einzelnen geglaubt. Die Konsequenz davon: Gerade weil alles Lebens- und Lohnenswerte strikt welt-immanent ist, gibt es nichts Dringlicheres und Bedeutungsvolleres als das eigene Leben. – Kein Wunder, dass gerade die Gen Z davon überzeugt ist, sie könnte die „Letzte Generation“ sein, die das planetare Schicksal des Menschengeschlechts noch wenden kann. Kein Wunder auch, dass sie daher – auch gegen geltende Gesetze (was eigentlich untypisch für die Gen Z ist) – eine Pflicht verspürt, gegen die drohende Auslöschung zu rebellieren (Extinction Rebellion).

Ernten, was man gesät hat

Diese Art der Angst vor einem totalen Ausgelöschtwerden resoniert kräftig mit grundlegenden biblischen Einsichten: Viele Gen-Zler würden emphatisch der biblischen Einsicht zustimmen, dass es so etwas wie einen unweigerlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang gibt: Menschen, die fortlaufend zerstörerisch handeln, werden so unempfindlich und blind für die Folgen ihres eigenen Handelns, dass ihre Zerstörung unweigerlich auf sie zurückfallen wird und muss. Sie akzeptieren also den biblischen Gerichtsgedanken und radikalisieren ihn sogar noch: Wer zerstört, verdient es nicht, ewig weiterzuleben! Der Lohn für ein verschwenderisch-rücksichtloses Leben ist, ausgelöscht zu werden – „vertilgt vom Angesicht der Erde“. In der strikt immanenten Wendung heißt das: Die kollektive Menschheit kann ihr Lebensrecht verwirken! Die Vertreibung des Menschen aus Eden wird daher gerade von den Aktivistinnen und Aktivisten der Gen Z (in atheistischer Wendung) emphatisch bejaht und nachvollzogen.

Der Gottesentfremdung begegnen

Dieser Spur gilt es im Austausch mit engagierten Mitgliedern der Gen Z zu folgen. Sie muss sogar noch vertieft werden: Denn ist nicht der aktivistische Optimismus, der Mensch könne sich jetzt noch retten und mit gemeinsamer Anstrengung selbst das Ruder herumreißen, fehlgeleitet? Wieso, um alles in der Welt, sollte ausgerechnet jetzt die gleiche Art Menschen, die die Krisen erst angerichtet hat, sich auf einmal besinnen und unter eigener Leitung aus den Umwelt- und Nachhaltigkeits-Malaise unserer selbstzerstörerischen Moderne herausfinden? Woher soll die Kraft kommen, die grundsätzlichen Fehlneigungen des menschlichen Herzens (me first) umzuerziehen? Und muss nicht gerade die unschuldige Hoffnung und der bewundernswert gewaltfreie Widerstand der Generation Z um so bitterer enttäuscht und nahezu unweigerlich in Selbstzerstörung oder Gewalt umschlagen, wenn nicht allen Bemühten von vornherein klar ist, dass sie es nicht „selbst regeln“ können?

Wer das Evangelium kommuniziert, der kann nicht umhin, die Krisen-Diagnose der Gen Z zu bejahen und zu vertiefen: Selbst die Engagiertesten unter uns werden uns nicht vor den Folgen unseres Handelns bewahren können! Weder vor den Folgen der Erderwärmung noch vor denen der Herzensunterkühlung und -erstarrung. Gerade die Gen Z, der Gerechtigkeit oft wichtiger ist als individueller Luxus, wird in ihrem Anliegen unterstützt, wenn ihr geholfen wird zu entdecken: Wer nicht zuerst und zutiefst der eigenen Gottesentfremdung begegnet, dem wird es nicht gelingen, die wechselseitige Entfremdung der Menschheitsfamilie wirksam zu verändern. Wer keinen Zugang zu einer mächtigen Liebesquelle außerhalb ihrer oder seiner selbst hat, die oder der wird zwangsläufig die eigene Lebensenergie vor allem dazu nutzen müssen, sich selbst achtsam zu lieben und sich liebenswert zu kuratieren. Unterm Strich bleibt dann aber zu wenig Energie für Nächstenliebe und Gerechtigkeit übrig. Theologisch gesprochen: Ohne Gott als Mitte und Ziel, ohne Jesus Christus als Kraftquelle extra nos unterliegen alle menschengemachten Weltrettungsversuche einer desaströsen Verzerrung.

„Wie kriegen wir einen gnädigen Gott?“ – der Mehrwert der Gnade

Und genau deshalb ist das Evangelium von dem gnädigen Gott gerade für die Herzensrezeptoren der Generation Z wie geschaffen: Wer mit klarem Verstand die Situation betrachtet, wird die unerbittliche Härte erkennen, die in den Worten „wir müssen es richten und die verpfuschte Welt retten“ mitschwingt. Die strikte Immanenz führt ins Dilemma der Gnadenlosigkeit. Worauf darf ich denn dann noch hoffen, wenn schon alle vorhergehenden Generationen versagt haben? Nur noch auf „uns“ und die Kraft der Einsicht meiner Generation?
Alle, die ahnen, dass dieser Weltdiagnose eventuell ein weiteres Rezept zur tragischen Selbstüberschätzung innewohnt, wird es freuen: Gnade kann sich nur von außen ereignen. Gnade ist dazu gemacht, jedes System wechselseitiger Verdienstanrechnung rigoros zu durchbrechen. Und Gnade muss nichts wünschenswert Abstraktes bleiben, sondern hat in Jesus Christus konkrete Gestalt angenommen. – Wer ihm folgt, wird aus extrem guten Gründen die Welt mit pflegen, retten und heilen wollen. Und ist zugleich erlöst von dem Druck, es selbst richten zu müssen.


  1. Zumindest scheint es so. Im Buch Triggerpunkte von Steffen Mau et al. (2023) wird deutlich, dass die Wertegräben in Deutschland faktischnicht wachsen. Es fühlt sich aber so an, weil die Ränder „lauter“ werden. 

  2. Vgl. dazu Arnold Gehlens Institutionentheorie. 

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