Brieffreundschaften in den geschlossenen Strafvollzug. Bild zum Interview mit M. Ferger

Katzen, Knast und klare Kante.

Brieffreundschaften in den geschlossenen Strafvollzug

Melanie Ferger im Interview

Bei Fergers in Klein-Gumpen erwartet jeden Gast ein herzliches „Willkommen!“ an der Tür und mindestens eine Katze mit mindestens einem fehlenden Auge, Schwanz oder Pfote. Die vierköpfige Menschenfamilie teilt ihren Alltag mit vier Miezen aus dem kontinentalen Tierschutzprogramm: zwei Bulgaren und zwei Griechen, die – wegen ihrer augenfälligen Handicaps „schwer vermittelbar“ – das rege Treiben im Haus von Kletterbäumen aus beobachten: jeweils so platziert, dass sie „bequem aus dem Fenster gucken können“. Die Katzenpiraten sind nicht die einzigen Schwervermittelbaren, denen Mutter Melanie Anteil an ihrem Leben gewährt. Seit zwanzig Jahren steht sie im Briefkontakt mit straffällig gewordenen Menschen, die in einer Justizvollzugsanstalt einsitzen, einer sogar im Todestrakt eines US-Gefängnisses.

Salzkorn: Melanie, wie bist du zu diesem seltenen Hobby gekommen?
Melanie: Seit meinem elften Lebensjahr pflege ich Brieffreundschaften. Mit meiner ersten Brieffreundin habe ich bis heute Kontakt. Ich habe 1995/96 im Internet zum Thema recherchiert und stieß auf eine Gruppe, die sich für Menschen im Strafvollzug engagiert und Kontakt zu ihnen vermittelt. Die haben mich dann ausführlich zu meinen Motiven befragt und ob ich bereit sei, über längere Zeit mit Menschen zu schreiben, die einen Fehler gemacht haben und dafür büßen.

Wer hat das Portal eingerichtet?
Eine junge Frau, die mit Seelsorgern im Gefängnis zusammengearbeitet hat. Die Idee war, den Inhaftierten eine Brücke bei der Resozialisierung zu bauen. Dafür sind stabile soziale Kontakte nach draußen wichtig. Nicht nur zu Knastkumpeln oder Freunden von früher, durch die du in diese Lage gekommen bist. Stabile Kontakte heißt austauschen, hinhören, dich selbst öffnen, Anteil am Leben eines Menschen nehmen, dich inspirieren und ermutigen lassen, selbst etwas auszuprobieren.

Wie bist du an deine Kontakte gekommen?
Ich habe mir etliche Steckbriefe angeschaut: Alter, Hobbys, kurze Selbstbeschreibung, und mir dann die Adresse von einem geben lassen, der mir sympathisch schien. Daraufhin bekam ich detaillierte Anweisungen, wie der Kontakt läuft, was ich auf welches Papier schreiben soll und was auf keinen Fall in den Umschlag darf.

Was darf nicht in den Umschlag?
Mehr Seiten als erlaubt, Aufkleber, Briefmarken oder buntes Papier, weil es in Drogen getränkt sein könnte. Mir wurde auch geraten, keine Fragen zur Straftat zu stellen, sondern es dem andern zu überlassen, wann und was er davon preisgibt.

Er – sind es Männer?
Die meisten sind Männer, aber ich schreibe auch mit einer Frau. Es ist viel schwieriger, Kontakt zu Frauen aufzubauen, weil sie mehr geschützt werden müssen. Nicht nur vor „alten Bekannten“, sondern auch vor Typen, in deren Opferschema sie passen.

Was sagt eigentlich dein Mann zu diesem Hobby?
Dominik sagt: Mach einfach, was soll passieren, ich bin ja da.

Und wie schützt du dich und die Familie?
Ich bin schon vorsichtig, besonders anfangs, und erzähle nur, dass wir zwei Kinder haben: ein Junge, ein Mädchen, das reicht. Keine Infos, keine Namen und erst recht keine Bilder. Wenn ich schon mehr über die Person weiß, Hintergrund, Familienverhältnisse, teile ich vielleicht etwas mehr mit, das ist aber sehr individuell.

Welche Themen sind unverfänglich?
Das normale Leben: Was ich gelesen habe, was mir bei der Arbeit begegnet, über Feste im Dorf oder in der Gemeinde, Kinobesuche, Geburtstagsfeiern und Urlaube. Ich erzähle möglichst ausführlich. Das bedeutet ihnen viel.

Was schreibst du über eure Urlaube?
Über die Geschichte der Orte, über das Klima, das landestypische Essen und was wir erlebt haben. Vor allem die Amis sind interessiert, über fremde Länder und deren Sehenswürdigkeiten zu hören. Sie haben aus Sicherheitsgründen kaum oder gar keinen Zugang zum Internet. Da recherchiere ich schon mal nach und füge Bilder von Sehenswürdigkeiten in die ausgedruckten Briefe ein. Sie schreiben dann über die Orte, die sie besucht haben, oder noch besuchen möchten, Bücher, die sie lesen, über ihre Herkunftsfamilie und Pläne nach der Haft.

Es bleibt ein heikles Unterfangen.
Es braucht Klarheit und Taktgefühl. Im ersten Brief an den ersten Brieffreund Mario habe ich geschrieben, dass ich nicht die Liebe fürs Leben suche und kein Geld schicken werde – aber ich könnte Freundschaft anbieten. Er nahm das gerne in Anspruch, und wir haben uns dann zwölf Jahre geschrieben.

Was in Marios Profil hat dich neugierig gemacht?
Er liest gerne, er schreibt gerne Briefe, ist im Freien tätig, gärtnert, trifft sich mit Freunden, guckt Filme. Das alles mache ich auch und dachte, dass wir uns gut verständigen könnten.

Hat er dir mitgeteilt, wofür er einsaß?
Ja, aus eigenen Stücken. Er hatte sich lange damit auseinandergesetzt. Wie übrigens alle, mit denen ich Briefkontakt halte. Mario hatte drei Banken überfallen, mit vorgehaltener Waffe. Er hat körperlich niemanden verletzt – psychisch schon. Falsche Freunde, falsche Ansprüche: neues Auto, teure Klamotten, und immer die falsche Entscheidung. Die Spirale ging schnell nach unten, er hat mir seine Gerichtsakten geschickt. Er hat Therapien gemacht, Gewaltprävention und sich bei den Mitarbeitern der Banken entschuldigt – brieflich, er durfte ja nicht hin. Inzwischen hat er die Bewährungszeit hinter sich, ist glücklich verpartnert und hat einen Job. Was er damals gestohlen hatte, hat er inzwischen zurückgezahlt.

Du hast Mario mehrmals im Gefängnis besucht. Wie war das?
Das erste Mal sehr fremd, ich dachte: Wahnsinn, was mache ich da?! Du gehst als erstes zum Schließfach und nur mit deinem Ausweis zur Pforte, nennst den Grund für deinen Besuch, Namen und wann dein Termin ist. Du darfst maximal eine halbe Stunde vor Termin ins Gebäude und nur anderthalb Stunden bleiben. Du gibst den Ausweis ab und wirst durchsucht wie am Flughafen. Schmuck darf nicht rein, nichts, was Verletzungsgefahr birgt. Handtasche und Autoschlüssel kommen ins Schließfach. Man lässt alles, was einen als Bürger ausweist, draußen. Dann führt dich das Wachpersonal über den Hof in den Besucherraum. Erst wenn alle Besucher drin sind, kommen die Inhaftierten, die natürlich keine Alltagskleidung tragen. Bei Mario war es anfangs ein pinkfarbener Jogginganzug.

Wie persönlich ist eine solche Begegnung?
Die ersten Male waren wir in einem normalen Raum. Später hat die JVA, um das Schmuggeln von Geld, Drogen, Handys oder Waffen zu verhindern, auf den Tischen im Besucherraum eine Trennscheibe in Brusthöhe aufgerichtet. Es sind immer Beamte im Raum, alles ist kameraüberwacht. Du kannst dich nicht spontan berühren, Hände schütteln, sondern musst fragen: Darf ich ihn über den Tisch gelehnt kurz drücken? Ich war mal mit meinem Mann und den Kindern zu Besuch, unseren Sohn im Maxicosi. Wir haben den Beamten gefragt: Darf er den Kleinen mal auf den Arm nehmen? Ja, durfte er. Der Beamte hat sich neben ihn gestellt, und er hielt den Kleinen für einen Moment.

Wie hat Mario reagiert?
Er war den Tränen nahe. Er ist selbst Papa, aber hat keinen Kontakt zu seinem Kind. In dem Moment dachte ich: „Der arme Kerl!“ Er hat mir so leid getan. Meine Tochter saß auf dem Pult vor der Trennscheibe, fand es ganz lustig da. Es gibt eine kleine Spielecke für Kinder mit ein paar Spielsachen außerhalb der Reichweite der Inhaftierten. Aber dass er das Kind kurz halten durfte, muss ihn tief berührt haben. In einem späteren Brief hat er sich bedankt. Man kann durch Briefe viel vermitteln, erklären, Einblick geben, aber all das ist nicht zu vergleichen mit Blickkontakt, Stimme, Mimik, Gestik, Berührung und Umarmung.

Mario ist mittlerweile frei. Habt ihr noch Kontakt?
Nicht mehr so rege, aber ich weiß, wie es ihm geht, wo er wohnt, was ihn beschäftigt. Das ist mir wichtig. Man kann nicht sagen, jetzt biste raus, viel Spaß! Man hat ja eine Beziehung aufgebaut.

Hast du auch engmaschigere Kontakte?
Ja, zu Ralf ist eine echte Freundschaft gewachsen. Als er unerwartet wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde und in wenigen Stunden seine Zelle räumen sollte, war das ein Schock. Er hat sofort Tochter und Schwiegersohn angerufen, anschließend informierte er uns. Das war eine Freude, seine Enkel flippten vor Freude aus: Opa ist zu Weihnachten da!

Wieso gerade Ralf?
Er war mir gleich sympathisch! Er stammt aus dem Ruhrgebiet, wie meine Eltern, und mir ist der Menschenschlag und der Slang vertraut. Vor vier Jahren haben wir begonnen, einander zu schreiben und die Briefe wurden schnell persönlich und lebendig. Als er mir vom Unfall seines Enkels schrieb, ließ ich das ganz nahe an mich ran und fand es schön, an seinem Leben und seinen Gedanken Anteil zu haben. Auch ich habe Persönlicheres mit ihm geteilt, über meine Arbeit, die Familie, auch Sorgen um die Kinder. Irgendwann konnten wir auch telefonieren – da hörte ich dann auch den Dialekt. Schon damals arbeitete er stundenweise als Küster in einer Kirche, jetzt ist er dort angestellt. Wir sind per WhatsApp und Telefon in engem Kontakt und ab und zu kommt er vorbei. Ralf will die zweite Chance nutzen und seine Beziehungen in Ordnung bringen. Er hatte Geld seiner Firma veruntreut. Nachdem das aufflog, war er einsichtig, reuig und ernstlich darauf bedacht, sein Leben umzukrempeln. Auch um seiner Enkel willen.

Wie reagierst du auf Berichte über die Tat und die Umstände?
Unterschiedlich, aber ich gebe immer ehrlich, wenn auch nicht tiefschürfend Rückmeldung. Weder Anschuldigungen noch Entschuldigungen. Wenn sie ins Detail gehen, spiegele ich, was ich höre, und schreibe, wie ich es sehe. Einem Mann habe ich mal rückgemeldet, dass ich es unerträglich finde, wie er einer Frau, die er sexuell missbraucht hat, Vorhaltungen macht, und dass ich gut verstehe, dass sie es zur Anzeige gebracht hat. Das hat er sich sagen lassen, und ist wohl in sich gegangen.

Was war das schwerste Vergehen, das ein Brieffreund begangen hat?
John [Name geändert] ist vor fast 14 Jahren in den USA wegen Mordes zum Tode verurteilt worden und wartet seither auf die Vollstreckung. Er hofft, dass das Urteil in Totschlag umgewandelt und sein Strafmaß auf „lebenslänglich“ zurückgestuft wird.

Wie kam es zum Kontakt in die Todeszelle?
Von der Website der Community, in der ich aktiv bin, hat mich ein Mitarbeiter vom Schwarzen Kreuz angeschrieben. Sie setzen sich ein gegen die Todesstrafe und vermitteln weltweit Kontakte. Bei Kandidaten in der Todeszelle gibt es keine Steckbriefe, man kann sich niemanden aussuchen, sondern wird von der Organisation zugeteilt. Du gibst lediglich an, was du dir vorstellen kannst: Mann oder Frau, das Alter. Dann wirst du vermittelt und bekommst eine lange Latte von Regelungen: Worüber darfst du schreiben und wie, welche Sorte Briefpapier, nur weiße Umschläge, keinen Luftpost-Aufkleber. Jeder Brief wird intensiv durch die Correction-Officer geprüft, bevor er an den Adressaten ausgehändigt wird.
Bei jedem Brief, den ich erhalte, denke ich: Ob er noch lebt? Und bei jedem, den ich schreibe: Es könnte das Letzte sein, was er liest. Auch die Hinrichtung würde mir nicht mitgeteilt werden – von anderen in der Gruppe weiß ich, dass dann der Brief einfach ohne Begründung zurückkommt. Damit hadere ich sehr, aber ich setze den Briefkontakt dennoch fort. Wir schreiben uns seit etwa vier Jahren.

Wie sind seine Haftbedingungen?
Ich weiß, dass er isoliert ist. Er hat noch Kontakt zu seiner Mutter und zwei Cousinen, der Freundeskreis ist komplett weggebrochen. Besuch darf er höchstens zwei Stunden pro Monat empfangen, aber auch das kommt nicht immer zustande. Die meiste Zeit sitzt er allein in seiner Zelle. Es gibt Hofgang und so etwas wie Einkauf, aber die Häftlinge im Todestrakt dürfen nicht arbeiten und haben nur Geld, wenn die Familie sie unterstützt.

Wie häufig wechselt ihr Briefe?
Er hat mir insgesamt fünf oder sechs Briefe geschrieben. Wenn ich einen bekomme, antworte ich zügig. Einmal kam meine Postkarte zurück – es könnte ja was in die Pappe geklebt sein. Meistens gehe ich auf das ein, was er über sich schreibt: die Mutter hat ihn besucht, die Cousine hat telefoniert, der Einkauf wurde abgesagt, der Hofgang ist ausgesetzt, weil sie bei jemandem was gefunden haben. Oder seine Hobbys und sein Leben vor der Tat. Er berichtet auch von Sendungen, die er im Fernsehen geschaut hat oder wenn er mal bei Amazon ein Buch bestellt, das dann auch in den Todestrakt geliefert werden darf.

Schreibst du auch über deinen Glauben?
Wenn es die Häftlinge initiieren, schon. John ist im Knast gläubig geworden. Einmal im Monat hat er ein Gespräch mit einem Seelsorger – das weiß er sehr zu schätzen und berichtet dann ausführlich darüber. Auch für mich ist das ein Trost, und ich kann ihn in seinen Glaubensfragen bestärken. Ich bete mit ihm dafür, dass er aus der Todeszelle kommt. Das wäre eine große Sache, und würde auch den Kontakt vereinfachen.

Sind weitere ähnlich schwere Fälle unter den Kontakten?
Da ist zum Beispiel Glenn. Er hat lebenslänglich und sitzt schon viele Jahre, hat keine Verbindung zu Familie oder Freunden. Mein Brief war sein erster Kontakt nach draußen seit sechzehn Jahren. Es war ein Highlight für ihn, dass ich ihn ausgesucht habe – sein erster Antwortbrief war handgeschrieben und sechzehn Seiten lang. Er hat mir seinen Werdegang erzählt, und nach und nach habe ich weitere Details erfahren – eine tragische Verkettung der Umstände, wirklich erschütternd.

Wie beantwortet man sechzehn Seiten?
In zwei oder mehreren Antwortbriefen, was ich auch ankündige. Ich lese sehr gründlich, mehrmals und versuche auf das einzugehen, was mir die zentrale Aussage scheint. Glenn habe ich konkrete Rückfragen zu den einzelnen Abschnitten gestellt, ihm aber freigestellt, zu antworten, wenn er möchte – auch ich schreibe klipp und klar, wenn ich bestimmte Fragen nicht beantworten will. Vertrauen wächst mit der Zeit. Nach und nach hat er sich geöffnet, und ich habe den Eindruck, dass er sich Dinge sagen und raten lässt. Er hockt in der Einzelzelle zwischen Zellennachbarn, denen es ähnlich geht. Irgendwann schrieb er, dass er verlernt hat, mit Menschen umzugehen und ihnen zu vertrauen. Ich habe ihm dringend geraten, eine Therapie zu machen oder sich an einen Seelsorger zu wenden. Im vierten Brief berichtete er dann, er habe es gewagt, Hilfe in Anspruch zu nehmen – und es sei gut gegangen. Ich hoffe, er bleibt dran.

Und Kontakte zu Inhaftierten, die es leichter haben?
Ja, zu Dennis, dem „Firefighter“. Er war auch bei der Polizei, was aber seine Mitinhaftierten nicht wissen dürfen. Er hat Kontakt zu Freunden und Familie und ist inzwischen mit einer Frau verlobt, die ihn und seine Geschichte kennt. Als er mir mal seine Sorgen um den herzkranken alten Vater schrieb, habe ich ein Krankenhaus in seiner Nähe mit einer guten Kardiologie gegoogelt, ihm den Ausdruck geschickt, nebst einigen Bibelversen und guten Wünschen zur Genesung. Darüber hat er sich riesig gefreut. Er kommt aus einem christlichen Elternhaus – und er hat jetzt viel Zeit, um über sein Verhältnis zu Gott nachzudenken. Ich habe ihm einen Link zu einer christlichen Seite geschickt, dort hat er sich Karten und Flyer bestellt und verteilt sie jetzt im Knast und an Freunde draußen. Als Sprecher seiner Gruppe kommt er etwas mehr unter den Gefangenen rum und steht mit Rat und Tat zur Seite, wenn jemand was braucht. Er wird es sicher leicht haben, sich wieder ins Leben draußen einzufädeln.

Du bis sehr fürsorglich – würdest du das als „Brieffreundschaft“ bezeichnen?
In manchen Fällen schon. James zum Beispiel ist mir ein echter Freund geworden. Mit ihm tausche ich inzwischen auch persönliche Dinge aus: Sorgen wegen der Gesundheit der Kinder, den Schock über den tragischen Tod meiner Schwiegermutter, über meinen persönlichen Glaubensweg, unser Engagement in der Gemeinde – auch über meine Arbeit im frommen Umfeld.
Er nimmt ebenso Anteil an meinem Leben wie ich an seinen Berichten und hat immer ein gutes Wort. Er hat sich schöneres Papier organisiert, bastelt, malt. Als ich vom Tod unserer Lieblingskatze erzählte, hat er eine wunderbare Karte gestaltet: das hat mich wirklich getröstet. Er ist Veteran und war lange Jahre als Soldat in Deutschland stationiert, hatte hier geheiratet und sich auch einbürgern lassen. Deswegen interessiert ihn alles, worüber ich schreibe, brennend. Auch dieses Interview.

James weiß, dass du über ihn sprechen wirst?
Ja, und er hat mich ausdrücklich dazu ermutigt! Mit Klarnamen. Er hat extra einige Zeilen an dich formuliert, weil er es wichtig findet, dass du und die Salzkorn-Leser zu schätzen wissen, wie vorbildlich der Strafvollzug in Deutschland ist, wie die Rechte der Inhaftierten geachtet werden und ihre Resozialisierung im Blick bleibt. Das ist in den USA selten so. Er erwägt nun, seine Verlegung nach Deutschland zu beantragen und nach der Haft seinen Lebensabend hier zu verbringen.

Es geht also viel um Normalität und Pläne.
Genau darum soll es ja gehen: dass Menschen hinter Gittern sich konstruktiv Gedanken darum machen, wie sie danach leben wollen. Dabei bin ich ihnen gerne ein Gegenüber.

Wie kannst du diese Kontakte in deine Normalität integrieren?
Ich sehe den Menschen, und nicht, was er gemacht hat. Ich schreibe nicht dem Bankräuber, ich schreibe Mario. Ich schreibe nicht dem Mörder, sondern John. Natürlich waren die Verbrechen schlimm. Menschen tun einander oft Entsetzliches an. Aber es gibt nicht nur die Tat, es gibt auch die Person, die Familie, das Leben davor und danach. Mir macht das keine Angst, ich habe ein gutes Bauchgefühl, was ich mir selbst zumuten kann und was nicht.

Wem würdest du dringend davon abraten, sich auf so etwas einzulassen?
Jedem, der zum Helfersyndrom neigt. Oder dazu, sich schnell mit anderen zu identifizieren. Auch Neurotiker und Hypochonder, die befürchten, irgendwann selbst mit der Knarre in der Hand vor einer Bank zu stehen, sollten die Finger davonlassen (sie lacht). Klar, man erhält Einblick in abgründige Lebensgeschichten und das macht wacher für die eigenen Abgründe.

Man braucht auch Kapazitäten.
Ja, man investiert viel Zeit. Aber wenn ich mir überlege, dass andere stundenlang Seifenopern folgen, oder Reality Shows, lauter Geschichten, die gestellt und künstlich aufbereitet sind, da stecke ich meine Energie lieber in echte Kontakte mit echten Menschen und echten Schicksalen.

Als du Kontakt zu Mario aufgenommen hast, warst du noch nicht Christ. Inzwischen hast du einen Glauben – hat das etwas verändert?
Gute Frage. In meiner Art weniger, aber ich stehe auf einem anderen Grund. Und wir können über den Glauben reden, auch über Zweifel und Fragen. Nicht mit jedem Inhaftierten, natürlich, aber einige berichten von Begegnungen, in denen Gott bei ihnen etwas verändert hat. Ich teile dann meine Gedanken dazu, ohne ihnen meine Deutung aufzudrängen. Und ich erzähle von den kleinen und großen Wundern und Bewahrungen zu Hause oder mit den Kindern. Wir tauschen Bibelverse aus oder was wir Gutes gelesen haben.

Deine Kommunikation wird überwacht: Briefe werden geöffnet, Telefonate mitgeschnitten und du wirst regelmäßig vom Staatschutz überprüft. Macht dich das nicht befangen?
Nö, ich habe ja nichts zu verbergen. Ich verhalte mich am Telefon so wie in den Briefen auch: Frage, wie es ihm geht, freue mich: Ja, Mensch, schön, deine Stimme zu hören. Wie geht es dir? Gibts irgendwas Neues? Ich fühle mich gehalten, beschützt und denke, das alles ist auch geführt. Diese innere Ruhe, da kommt viel von Gott. Er macht es möglich.

Jesus sagte zu seinen Jüngern: Ihr seid meine Freunde. – Wie definierst du Freundschaft?
Freundschaft heißt vor allem Offenheit, Ehrlichkeit, sich nicht verstellen, sondern zeigen. Ein Mensch, der in sein Herz blicken lässt, schenkt das Kostbarste, was er besitzt. Wer sich verstellt, enthält sich vor. Das kann ich nicht ausstehen. Zu einem Freund muss ich Vertrauen aufbauen können.

Aus der E-Mail von James an Írisz:

Und jetzt zurück zu Melanie….. sie ist wie ein geschenk aus den Himmel. ein Engel Botin…. Mitgefühl und Behandlung als ob ich wirklich ein Mensch bin. ich weiss genau dass ich etwas horrenden gemacht habe um ins Gefängnis zu kommen. aber bei Menschen gibt es keiner der perfekt ist ausser unser Christus. zu verzeihen, ist das zentralen Wort das wir unseren leben zum halten. hier haben die Hunden besser Behausung und essen. wir wurden niedriger als Tieren behalten. unmensch, so zu sagen. wenn eine wie Melanie kommt, es ist wie frische Frühlings Luft das ich einatmen. ich werde behandelt wie ein normalen Mensch.

Apostel Paulus hat uns das Botschaft in seine Brief and die Corinthians bei gebracht. man muss gefangene als Brudern an nehmen. wir sind hier ohne Schutz und Zuwendung von das Gemeinde. wir sterben ein bisschen jeden Tag ohne Freunde und Geliebte. Resozialisierung ist das Ziel in deutschen Gefängnissen. in Amerika trotz viel Wörter von Politiker, ist Bestrafung das einzige was wir kennen. das ich jetzt als ein Mitglied von Melanie’s Familien bin… kann ich mich jeden Tag im Spiegel an schauen und weis genaue das Jesus hat uns im Hand wieder.

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