Immer was zum Teilen

Celinas Häuschen im argentinischen Chaco

„Ein kleines Häuschen mitten auf einem Grundstück, rundherum nur Grün.“ Als Celina von ihrer Freundin und Hausärztin Rosita dieses Bild vom zukünftigen Wohnort am Telefon hörte, lachte sie lange und laut. „Auf so etwas kommst nur du!“, entgegnete sie. „Nein, Jesus!“, sagte Rosita. „Du hattest mich doch gefragt, wo ihr hinziehen könntet, Federico und du, und da habe ich im Gebet euer Häuschen gesehen.“ Das war ziemlich genau zu der Zeit, als Frank und ich 1995 mit unseren drei Kindern nach Resistencia, Nordargentinien, zogen. In den folgenden zwölf herausfordernden Jahren wurde Celina für mich zu einem bedeutsamen und bis heute sicheren Anker im Sturm. Kostbare Freundin, inspirierende Glaubensgefährtin, treue Ermutigerin auf meinem Weg. Als ich Celina für diesen Artikel nach ihren Grundentscheidungen für den Umgang mit Geld und Gut, nach ihrem Lebensstil fragte, nach Einfachheit, lachte sie wieder lange und laut, glockenhell, so wie ich das von ihr kenne. Dann wurde sie ernst und begann zu erzählen. „Wenn wir heute etwas haben, liegt es daran, dass Gott es uns gegeben hat. Hier bei uns fehlt es an nichts. Aber den Luxus und all das andere haben wir aus dem Fenster geworfen an dem Tag, als wir geheiratet haben. Du weißt schon, teure Schuhe, Kleider, Parfüm, solche Sachen. Als wir entschieden, nur für den Herrn zu leben. Und so machen wir es bis zum heutigen Tag.“ Jetzt muss ich lachen. Das ist Celina im Originalton. Es klingt immer so ganz einfach und klar.
Dabei war das mit dem Häuschen im Grünen alles andere als einfach. Celina heiratete mit fast 40 Jahren ihren Federico. Gemeinsam wohnten sie zunächst mit Celinas Mutter zusammen, die aber große Mühe damit hatte, dass ihre Tochter nicht mehr zu ihrer Versorgung zur Verfügung stand. Als sich der Konflikt zuspitzte, die kleine Tochter Carla geboren wurde, machten sich Fede und Celina auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Mit dem Monat für Monat mühsam zurückgelegten Geld in der Tasche geriet Federico in die Hände eines Betrügers, der im noch sehr dünn besiedelten Außenbezirk rund um die Provinzhauptstadt Resistencia vorgab, Grundstücke zu verkaufen. Alles Geld weg! Neu anfangen, wieder sparen. Dann kam das mit Rositas Bild. Eines Tages standen Celina und Fede dann im Nirgendwo vor einem Backsteinhäuschen mit Blechdach, rundherum hohes Gras und stachelige Büsche, und sie sagte: „Das ist es!“
Das damals noch fast unbebaute Gebiet liegt knapp hinter der letzten großen Straße an der Südgrenze der Stadt. Holprige, lehmige Wege ohne Straßenbeleuchtung, offene Abwassergräben führten zu Celina und Fedes Grundstück. „Du weißt, wie es war“, sagt sie zu mir. Ein einziger Raum mit feuchten Wänden und niedrigem Dach, in der heißen Zeit im Chaco einer Sauna gleich. Aber das Ehepaar ist gewiss: Genau hier ist Gottes Platz für uns. Denn das ist ihre Sicht auf das Leben: Sinn macht es, wenn Gottes Liebe durch uns zu anderen gelangt. „Alle brauchen Jesus. Deshalb geben wir immer ein ermutigendes Wort, ein Gebet, eine Tat, die sie aus der Traurigkeit rausholt oder aus einem Leben als Sklaven des Geldes.“
Sechs Jahre lang tragen sie jeden Monat Celinas gesamtes Lehrerinnengehalt zum Makler, um das Grundstück abzuzahlen. Was aus Fedes kleiner Uhrmacherwerkstatt zusammenkommt, muss für alles andere reichen. „Sehr harte Jahre!“ sagt Celina. Sie lässt sich in die Stadtviertelschule versetzen, denn dort sind die Kinder der bald hinzukommenden Nachbarn. Allesamt am Existenzminimum, wenn überhaupt. Sie mischt die Schule auf, macht Korruption nicht mit, organisiert Ausflüge, zeigt Missbrauch und Gewalt an und betet auf dem Weg zur Schule mit den Nachbarn, die schnell begreifen, dass man sich ihr anvertrauen kann. Es dauert nicht lange, da wird das winzige Häuschen im Grünen ein Zufluchtsort für Menschen aller Art. Kinderstunden mit duftendem Hefebrot, Nachbarn kommen zum Plaudern, später zum Bibellesen, Gäste werden beherbergt, Tränen getrocknet. Und währenddessen wird Stein auf Stein das Häuschen erweitert. „Backsteine, Zement, wir kauften nach und nach, immer so wie wir Geld hatten. Der Hausmeister der Stadtviertelschule kam dann und baute ein bisschen weiter. So entstanden die Wände, aber es fehlten noch die Fenster, die Türen, das Dach. So war es: Sparen und einen Schritt weitergehen. Und dann noch einen.“
Zu dieser Zeit war ich schon regelmäßig zu Gast bei den beiden. Ich liebte wie alle anderen die fröhliche, barmherzige Atmosphäre, holte mir Rat oder Trost, ahnte etwas von den mühsamen Lebensbedingungen und staunte über die Produkte aus Celinas Küche.
„Lebensmittel muss es immer im Haus geben, weil es immer bedürftige Menschen gibt. Wenn jemand bei uns vorbeikommt, der etwas braucht, haben wir etwas zum Teilen“, sagt Celina dazu. Das bedeutete, dass die Fertigstellung des Hauses wieder warten musste. Fedes und Celinas Prioritätenliste ist eindeutig: „Zuerst der Herr, der dir alles gibt, dann alles andere. Das Wichtige ist immer zu schauen, was man für die Nächsten tun kann. Zum Beispiel Leute, die wegen Gewalt aus ihrem Haus fliehen müssen, denen helfen wir, dass sie sich anderswo ein Zimmerchen bauen können. Oder andere, die in eine prekäre Siedlung ziehen, denen helfen wir zu einem Plumpsklo. All so was. Das kommt zuerst, vor der Kleidung, dem Essen. Verstehst du mich?“ Nein, ich glaube, das verstehe ich nicht in dieser Klarheit. Mein Sicherheitsbedürfnis protestiert. Aber ich sehe, mit welcher unbekümmerten und gelassenen Haltung das Ehepaar nach diesen Grundentscheidungen lebt. Und ich wundere mich, wie es ihnen gelungen ist, sich dabei überhaupt nicht leid zu tun oder viel Aufhebens darum zu machen – und erstaunlicherweise dennoch voranzukommen. Heute, nach 25 Jahren, ist aus dem winzigen Häuschen ein etwas größeres festes Haus mit trockenen Wänden geworden. Ein haltbarer Zaun schützt sie vor den vielen Räubern im Stadtviertel; es gibt ein Gästezimmer mit Klimaanlage (den Gästen soll es im Haus am besten gehen), einen Gemüsegarten, einen überdachten Grill. Ein großes Schild prangt über der Tür: „Hauskirche: Liebe und Wunder“. Daneben Flaggen: Israel, Kuba, Mongolei, USA, Deutschland, Italien, Argentinien. Fede und Celina stehen in Kontakt mit Missionaren in der ganzen Welt, sie haben einen weiten Horizont. Wenn Celina erzählt, was sie zuallererst abzweigen, dann fließt es dorthin. Missionare sind sie selber in ihrem Stadtviertel, eigentlich vom ersten Tag an Hauskirche. Jetzt wollen sie sich offiziell registrieren lassen. Auch das kostet Geld.
Ich frage genauer nach: „Heute verdienen wir umgerechnet so ungefähr 500 Euro. Davon nehmen wir etwas weg, um unsere kleine NGO aufzubauen. Gott hat es uns nie an etwas fehlen lassen. Nie. Wie also sollten wir nicht zufrieden sein, dass wir einen so großen und liebevollen Gott haben?“ Um sich als Hauskirche zu treffen, gibt es jetzt eine kleine überdachte Veranda. Neben geistlichem Rat geben Celina und Fede dort auch sehr praktische Lebenshilfe: „Wir lehren die Leute, zufrieden zu sein, mit dem, was Gott uns Tag für Tag gibt. Niemand kann besser und mehr leben, wenn er es nicht bezahlen kann. Die Leute hier nehmen Kredite auf und kaufen auf Raten, mitten in der Armut.
Sie kaufen Mopeds, Klimaanlagen, Autos. Die Leute verstehen nicht, welche Unsummen sie zurückzahlen müssen. Sie werden zu Gefangenen und durch den Wertverfall immer noch ärmer. Also sage ich ihnen: Wenn Jesus sagt, dass er uns Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf geben wird, wozu braucht ihr dann einen Kredit? Das ist mein Rat: Lebt nicht über eure Möglichkeiten, sondern dankbar Gott gegenüber, der uns alles gibt. Macht keine Schulden! Er wird es uns an nichts mangeln lassen. Nie. Und wenn du selber gibst und großzügig bist, wird Gott vervielfältigen, was bleibt. Warum also sollten wir uns um das Materielle Sorgen machen? Einige von den Leuten halten sich an unsere Worte, andere nicht. Und dann leiden sie furchtbar.“
Bei Celina ist alles durchs eigene Leben durchgegangen. Der Vater deutscher Abstammung, die Mutter aus dem Inland. Der Vater war Autorität, die Mutter zog die Kinder auf, wie sie konnte. Das bedeutete für Celina sehr früh aufstehen, die Kuh melken, im Haushalt helfen, die zwei Kilometer zur Schule laufen, am Nachmittag die Ziegen hüten, irgendwann auch Hausaufgaben machen, abends die Kuh in den Pferch sperren, die Ferkel füttern. „Und wenn wir freie Zeit hatten, gingen wir im Rio Bermejito baden. Ich habe von klein auf gelernt zu gehorchen. Kurz nach meinem 9. Geburtstag schickte man mich in die Stadt, um als Hausmädchen zu arbeiten. Ich blieb fünf Jahre dort. Als ich 14 war, beschloss ich, unabhängig zu werden. Ich arbeitete weiter tagsüber als Putzfrau und ging abends in die Schule, was wahnsinnig schwer war. Und all das in der schlimmsten Zeit der Militärdiktatur. Ich hatte revolutionäre Gedanken im Kopf, ging auf Demonstrationen. In diesem Kampf habe ich viele meiner Schulkameraden verloren. Es waren sehr, sehr schwere Jahre emotional. Mein Vater hatte Kontakt zu katholischen Priestern aus Deutschland. Und so bekam ich ein Stipendium, um Lehrerin zu werden. Und irgendwann später hatte Gott mit mir Erbarmen und hat mich gerufen, seine Tochter zu werden.“ Jetzt lacht Celina wieder laut und dann kommen ihr Tränen der Freude. Mir auch. Gott ruft und zwei Menschen antworten mit ihrem ganzen Leben, ihrem Hab und Gut. Stünde das kleine Häuschen sonst vielleicht immer noch unbehaust mitten im Nirgendwo? Und was wäre mit den vielen Frauen, Männern und Kindern, die an Celinas und Fedes Seite auf die Füße gekommen sind und begonnen haben, hinter Jesus her durchs Leben zu gehen? Bei Celina und Fede bleibt: „Dankbarkeit, Lob in unseren Herzen für das, was Jesus uns gibt, Fülle.“

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