Das große Ganze im Detail
- Einfach mal genauer hinsehen
- Ins Ganze eingebettet
- Die „große Lehrmeisterin“
- Ein Fest des Lebens
- Mit geschärftem Blick in den Alltag
Wie viele Augen hat eigentlich eine Spinne? Kann man dieses Kraut essen? Knirscht der Waldboden zwischen den Zähnen? Und – was hat das überhaupt mit Gott zu tun?
Vom 23.-27.03.2022 fand in den Räumen des Reichelsheimer Europäischen Begegnungszentrums die Studienwoche „Artenreich – Schöpfung begegnen am Schlossberg“ statt, durchgeführt von den „Freunden von A Rocha Deutschland“, in Zusammenarbeit mit der „Offensive Junger Christen“ (OJC). Den Schwerpunkt der Woche bildeten tägliche Exkursionen und thematische Einheiten, eingerahmt von Tagzeitengebeten und gemeinsamen Mahlzeiten.
Einfach mal genauer hinsehen
In den morgendlichen Exkursionen nahmen wir unsere nähere Umgebung rund um Reichelsheim in den Blick, den Mergbach, ein Waldstück in der Nähe von Schloss Reichenberg und eine Wiese unterhalb einer kleinen Kirche.
Zunächst setzten wir uns mit den örtlichen Gegebenheiten auseinander anhand von Fragen, die man sich nicht jeden Tag stellt: Wie viele Bäume stehen auf unserem Waldstück und wie alt sind sie? Zu welchen Anteilen besteht unser Boden aus Ton, Schluff und Sand? Wie hoch ist die Fließgeschwindigkeit des Baches? Einfache Fragen, deren Beantwortung dem Laien gar nicht so leichtfällt! Zum Glück hatten wir erfahrene Fachleute von A Rocha dabei, unter anderem einen Geologen und einen Biologen, die uns in gängige Untersuchungsmethoden einführten, unter anderem in die Knirschprobe, bei der man auf einer Bodenprobe herumkaut und auf die Geräusche achtet. Danach beschäftigten wir uns mit der Vegetation unseres Areals. Während eine Wiese auf den ersten Blick aus nichts weiter als ein bisschen Gras zu bestehen scheint, zeigen sich dem geschärften Blick die verschiedensten Arten von Pflanzen, und auch kein Baum ist wie der andere. Diesen Artenreichtum versuchten wir näher zu bestimmen, erneut mit Hilfe unserer Begleiter, unter Benutzung von Nachschlagewerken und Smartphone-Apps.
Zum Schluss kam die Tierwelt an die Reihe, die weitere Überraschungen bot. Wirkt der Laubboden des Waldes zu Beginn des Frühlings auf den ersten Blick recht tot, so wimmelt es beim genaueren Hinsehen unter jedem Stein. Besonders eindrucksvoll wurde die Vogelexkursion erlebt, zu der sich die Teilnehmer schon zu Sonnenaufgang aufmachten. Die Abende boten Raum zum Mikroskopieren mitgebrachter Proben.
Ins Ganze eingebettet
Von einer Vielfalt lebender Arten umgeben zu sein, ist aber keine neue Entdeckung. Sie wird bereits in der Bibel poetisch besungen.
In einer der geistlichen Einheiten am Nachmittag lasen wir nach einer kurzen Einführung in die Schöpfungstheologie von Pfarrer Walter Färber den Schöpfungspsalm, Psalm 104. Der Psalmist beschreibt in großem Detailreichtum die belebte und unbelebte Natur als ein von Gott gewebtes allumfassendes Netz, in dem ein Teil dem Leben des anderen dient.
In dieses Netz ist der Mensch eingebettet, er hat seinen Platz in der göttlichen Ordnung. Er verrichtet seine Arbeit, die Gott ihm zugeteilt hat, und erfreut sich an den Früchten, welche die Erde ihm schenkt. Wir staunten: Genau dieses lebendige Geflecht, diesen Reichtum hatten wir ja selber in den Exkursionen erlebt! Was würde sich wohl an unserer Lebens- und Wirtschaftsweise ändern, wenn wir unsere Welt immer aus diesem Blickwinkel betrachten könnten? Tatsächlich ist ja das wesentliche Ziel der Arbeit von A Rocha (die weltweit in über 20 nationalen Gruppen aktiv ist), durch theologisch und naturwissenschaftlich fundierte Aufklärungsarbeit Christen zu sensibilisieren für den Schutz des Lebens vor der eigenen Haustüre. Dass dieses Leben allerorts bedroht ist und wir dringend handeln müssen, wurde uns in einer Einheit zum Thema Artensterben anschaulich klar.
Die „große Lehrmeisterin“
Am letzten Tag wurden wir alleine in die Natur entlassen mit einer simplen Aufgabenstellung: Sucht euch ein bequemes Plätzchen für euch alleine, nehmt aufmerksam wahr, was da ist, aber analysiert und bewertet nicht. Bei dieser Übung zeigte sich eindrucksvoll die Verknüpfung zwischen Schöpfungsspiritualität und Kontemplation.
Nach den Exkursionen der letzten Tage fielen uns allerlei Details ins Auge, und die Glaubenswahrheiten des Psalms 104 rutschten tiefer ins Herz. Wenn wir uns als eingebettet erleben in das Ganze der Schöpfung, schrumpfen automatisch das Ego und die Bedeutung, die wir Alltagssorgen beimessen. Angesichts der „großen Lehrmeisterin, der Natur“, welche größtenteils ohne unser Zutun von Gott versorgt und unterhalten wird, konnten so manche Teilnehmer erleben, wie die inneren Programme aus Gedanken, Urteilen und Gefühlen zur Ruhe kamen und das Herz sich für Gottes Wirken öffnete.
Ein Fest des Lebens
Das Ruhen in Gott und Vertrauen auf sein Handeln nach getaner Arbeit zelebriert das jüdische Volk am siebten Tag der Woche, dem Sabbat. Allerdings wird der Sabbat bereits eingeleitet durch dessen feierliche Begrüßung am Vorabend, bei der das Tagwerk bewusst losgelassen und Gott als der große Versorger geehrt wird. In Anlehnung an diese Tradition begingen wir am Abend des letzten Tages eine feierliche Sonntagsbegrüßung mit Gebeten, Liedern und leckeren Speisen. Wir feierten das Leben, das Gott uns schenkt. Den Abschluss der Woche bildete der Sonntagsgottesdienst, bei dem nach einem Rückblick auf die vergangenen Tage Christus als der Sinn und das Ziel der Schöpfung betrachtet wurde.
Mit geschärftem Blick in den Alltag
Sicherlich ging nicht jeder Teilnehmer mit exakt der gleichen Erfahrung und Erkenntnis aus dieser Woche heraus, aber eins verbindet uns hoffentlich: dass wir sensibilisiert wurden für das große Wunder des Lebens, das uns umgibt und zu dem wir selbst gehören, und dessen Schutz wir uns jetzt noch mehr als zuvor verpflichtet fühlen.