#Fair oder #Foul?
Írisz Sipos- „Geben ist selischäh wie Nehmen!“ – dieses Paulus-Wort aus der Apostelgeschichte gehörte zur umfangreichen Weisheitensammlung von Frau Hedwig, der besten Vermieterin von allen. Immer wenn sie mich zur Examenszeit in meiner Bude mit beladenen Tellern „vor dem sischärn Hungähtod“ bewahrte und ich vor Verlegenheit kaum wusste, wie mir geschah, servierte sie die Sentenz als Vorspeise – so ging sie mir durch Magen und Leib.
Nach den Prüfungen, wenn wir bei ihren fortgesetzten Rettungsmaßnahmen auch Muße zum Sinnieren über Geben und Nehmen, Haben und Sein hatten, versäumte sie nie, hinzuzufügen: „Bessäh, du wirst beneidet als bemitleidet!“ Ich argwöhnte, dass das nicht von Paulus war, und obwohl ich Frau Hedwig beipflichten musste, mischte sich dem betörenden Pfannkuchenduft leises Unbehagen bei.
Ohne Zweifel ist die Geber-Position die Pole-Position.
Wer im Reich Gottes was auf sich hält, schreibt schwarze Zahlen. Mir war klar, dass ich an Frau Hedwigs selbstloses Geben „mei Lebdach“ nicht heranreichen würde, doch auch mir war die Vorstellung, vom notorisch unsteten Blutzuckerspiegel mal abgesehen, bedürftig und auf das Wohlwollen anderer angewiesen, gar Gegenstand ihres Mitleides zu sein, ein Graus.
Diese zigmal gehörten Worte kamen mir in den Sinn, als meine gütige Vermieterin schon hochbetagt und zunehmend orientierungslos die Pole-Position doch ab- und sich „andräh Leut’ Barmhätzischkeit“ anheimgeben musste…
Sie schossen mir auch Jahre später des öfteren durch den Kopf, wenn ich beim Erstellen der Flyer für die OJC-Weihnachtsaktion die Gruß-, Dank- und Bittbotschaften unserer Projektpartner, oft unter widrigsten Umständen entstanden, in gefälliges Deutsch übertragen sollte. Da war sie wieder, die Pole-Position, und da war das leise Unbehagen, das sich nicht auflösen ließ.
Die Lösung lieferte – ganz unerwartet – Pater Reinhard Körner während einer Kommunitätsretraite im Birkenwerder Karmel. Er legte das Gleichnis vom Sämann aus. Dabei ging es ihm nicht um die vierfache Bodenqualität, sondern um die Geste des Aussäens: großzügig, auf die künftige Ernte vertrauend, ohne Angst, das Saatgut uneffizient zu verschleudern.
Er ahmte die Geste nach und sagte, unvermittelt: „Merken Sie was?“ – Wir merkten nichts. „Die Bewegung: In den Beutel langen, Korn greifen, ausstreuen – so macht es Gott. Wir Menschen machen es meist umgekehrt: greifen mit langem Arm aus, als würden wir geben, aber wirtschaften in die eigene Tasche, oft ohne es selbst zu merken. Vielleicht, um uns zu bereichern, um unser Gewissen zu beschwichtigen oder um unsere eigene Leere zu füllen.“ – Wir horchten alarmiert auf.
„Die Trivialpsychologie nennt das Helfersyndrom. Die christliche Moral nennt es Hybris. Eine zerstörerische Dynamik: sie beschämt den, dem man helfen möchte, und treibt den Helfenden über kurz oder lang in den Burnout.“ Hoppla! Was fair beginnt, kann also unter der Hand – unter der helfenden Hand! – zur (Selbst-)Täuschung, zum üblen Foulspiel geraten!
Bedürftigkeit generiert Scham
Während ich noch Frau Hedwigs Pfannkuchen genoss, schlug ich mich mit den großen Tragödien der Macht herum, unter anderem mit Shakespeares Königsdrama „Macbeth“: lauter zwielichtige Gestalten und eine Handlung, in der nichts ist, was es zu sein vorgibt. Im berühmten Prolog der Sturmhexen: Wann treffen wir drei wieder zusamm’?, lautet die Antwort im Original:
When fair is foul and foul is fair – wenn man also nicht mehr unterscheiden kann zwischen Fairness und Täuschung.
Die Tragödie liest sich wie eine politisch zugespitzte Inszenierung des sich in ihr Gegenteil verkehrenden Helfersyndroms. Etwas kippt im Herzen Macbeths, der als Retter startet, und frisst sich durch alle seine Beziehungen. Während jene, denen er zur Hilfe eilt, durch seine Hand vernichtet werden, wird sein eigener Charakter völlig zerrüttet.
When the hurlyburly is done, when the battle is fought and won, raunen die Hexen: und damit meinen sie nicht den militärisch ausgefochteten Krieg, sondern das Hurlyburly, das Tohuwabohu, das die abgespaltenen Anteile von Bedürftigkeit, Trauer und Gier im Ehepaar Macbeth anrichten.
Glücklicherweise gestalten sich unsere alltäglichen Helfersyndrome harmloser. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass auch eine kaum merkliche Verkehrung des Guten das Ungute bewirkt. Im engen Miteinander wird es schnell offenbar: wenn nach anfänglichem Hochgefühl, geholfen zu haben, die Verpflichtung zur Last wird, gar zur Hemmnis; wenn der, dem geholfen wird, nicht verlässlich (und dankbar) kooperiert, oder wenn der, der helfen möchte, Forderungen stellt, resigniert oder ihm die Sache einfach über den Kopf wächst. Dann wird das Herz hart.
Denn Bedürftigkeit, das dürfen wir nie ausblenden, generiert immer Scham, unabhängig davon, ob die gewährte Hilfe wirklich selbstlos ist oder eine andere Bedürftigkeit kaschiert. Nicht nur im Empfänger einer Hilfsleistung, sondern auch in dem, der sie spendet. Die verborgene Bedürftigkeit oder Überforderung erzeugt eine mindestens ebenso toxische Scham, die sich dann als Groll gegen den anderen wendet. Wir beobachten das auch im Großen. Selbst im komplexen globalen Geschehen der „Entwicklungspolitik“ passiert es schnell, dass die Schamfalle zuschnappt und die Parteien einander alles wütend in Rechnung stellen, um aus dem Geber-Schuldner-Clinch herauszukommen. Wenn sich dann niedere Beweggründe wie Misstrauen, Gier, Kränkung und Zorn Bahn brechen, ist Hurlyburly – ist Krieg.
Empfangen macht großzügig
Paulus wusste das so gut wie Shakespeare. Wenn er also Jesus zitierend seinen Ephesern den Lieblingsspruch meiner Vermieterin ins Stammbuch schrieb, dann nicht, um von der eigenen Bedürftigkeit abzulenken, sondern um sie offenzulegen. Nur im Verweisen auf Christus kann er diesen brisanten Ausspruch tun. Denn Jesus selbst hat so gelebt: seine Bedürftigkeit, Verletzlichkeit, Armut nie durch doppelte Motive oder Helfersyndrom kaschiert: weder mit klugen Sprüchen, noch mit prophetischer Schau, moralischer Anstrengung oder durch spektakuläre Wunder. Er hat selbst Hilfe und Zuwendung in Anspruch genommen, aber er wusste, wer allein die allertiefsten Bedürfnisse zu stillen vermag:
Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht
(Joh 5,9).
Wenn das für Jesus gilt, dann erst recht für uns. Vor dem Vater sind wir alle bedürftig und dürfen es auch sein. Wir sind vor allen Dingen Empfangende. Ihm die Hände hinzuhalten, fällt uns oft schwer, denn entweder sind sie erschreckend leer, oder erschreckend voll. Er aber kann sie, je nach Bedarf, leeren oder füllen und kommt auch unserem Helfersyndrom bei.
Indem er die Hurlyburlys unserer Herzen befriedet, richtet er uns aus den Verkrümmungen des Foulspiels zum Fairplay auf.
Dann erleben wir das Wunder, durch die Beschenkten selbst beschenkt zu sein. Nicht weil wir, wie der verkehrte Sämann, das Geben mit dem Nehmen vertauscht haben, sondern weil die Kinder Gottes im Geben und Nehmen die Fülle seiner Gaben empfangen.