Sitz im Leben: Stand im Alltag

Sitz im Leben: Stand im Alltag

Was den OJC-Auftrag nach vorne bringt

In der geistlichen Regel unserer OJC-Gemeinschaft kann man lesen: „Empfangen ist unsere Grundhaltung gegenüber Gott. Die Liturgie des Alltags prägt unsere Kommunität. In der Liturgie des Alltags üben wir täglich eine Lebensform ein, die auf Veränderung zielt: uns im Glauben zu gründen und himmelwärts zu leben. Sie rüstet uns für das tägliche Zeugnis in der Welt.“ Wir wollen in einer empfangenden Grundhaltung leben, die durch unsere Liturgie geprägt wird. Wir üben dies täglich mit dem Ziel der Veränderung und der Zurüstung. Das alles begann mit einer Frage, die unserem Gründer Horst-Klaus Hofmann 1967 gestellt wurde: „Wie kommt man zu einem leidenschaftlichen, revolutionären persönlichen Glauben, der sich gesellschaftlich auswirkt?“1 Von Anfang an zeigte sich deutlich: dafür braucht es ein tragfähiges Fundament. Klar war, dass die OJC einen Halt außerhalb ihrer selbst brauchte, wenn sie sich nicht als kurzatmiger Idealismus erledigen wollte. Aus dieser Erkenntnis erwuchs unsere Liturgie des Alltags.2

Liturgie des Alltags

Die „Liturgie des Alltags“ steht in der Abfolge der Abschnitte unserer Regel ziemlich in der Mitte. Vor allem aber steht sie in der Mitte unseres Lebens. Zumindest ist dies unser Anspruch. Liturgie meint in unserem Zusammenhang eine „gottesdienstliche Lebensführung“ (Reinhard Frische), unser Sein vor Gott, unser Leben aus und in Gottes Gegenwart. Darum auch der Zusatz „Alltag“. Liturgie kann nur dann unser Leben tragen, wenn es mit diesem in engster Verbindung steht. Also: keine Liturgie, die nur auf Sonntag und Gottesdienst ausgerichtet ist, sondern eine, die unseren Alltag durchzieht und bestenfalls auch prägt.
Liturgie – egal ob im gottesdienstlichen oder persönlichen Horizont – ist kein Selbstzweck. Sie will uns immer wieder in die Nähe Gottes bringen und so unseren Alltag durchziehen und in diesem durch verändertes Leben wirksam werden.
Nicht das Machen, – was einer so aktionsträchtigen Gemeinschaft wie unserer durchaus als Versuchung naheliegt –, sondern das Empfangen ist entscheidend.
Auf vier Beispiele möchte ich kurz aufmerksam machen. Zwei aus der persönlichen Liturgie: Stille und Austausch. Und zwei aus der gemeinschaftlichen Liturgie: Mittagsgebet und Abendmahl.

Stille und Austausch

Jeder Tag beginnt bei uns mit der persönlichen Stille. Das Hören auf Gott, das Gespräch mit ihm, das Gott-Hinhalten unseres konkreten Lebens – in Dank und Sorge, im Fragen und Antworten. Bibellesen und Gebet sind die Quelle unseres Lebens. Das ist eine Konstante von den Anfängen bis heute. Denn: „Das Wesentliche ist nicht, was wir sagen, sondern was Gott uns und durch uns sagt.“3
Dazu kommt der Austausch. Wir treffen uns in der Regel wöchentlich in kleinen Gruppen und nach Geschlechtern getrennt. „Austausch ist in der OJC-Geschichte von Anfang an der besondere Raum und die besondere Zeit, in der wir uns in diesem geschützten Raum voreinander zeigen, indem wir aus dem Versteck der vielen Absicherungen, die wir alle um uns aufgebaut haben, heraustreten und uns einander zu erkennen geben – als Bedürftige und Sünder, als Inspirierte und Träumer.“4 Wir sind dabei getragen von dem Gedanken: „Jeder Austausch lebt vom ‚Christus mitten unter uns‘. Das ist der entscheidende Faktor.“5 Und wir wissen: „Treue und Verbindlichkeit spielen eine wichtige Rolle (…) Regelmäßigkeit entlastet.“6

Mittagsgebet und Abendmahl

An allen Wochentagen findet in verschiedenen Kapellen unserer Gemeinschaft, aber mit derselben Liturgie, das Mittagsgebet statt. Es besteht aus einem liturgisch gehaltenen Introitus (unserem Eingangsgebet), zu dem auch Wochenlied und Wochenpsalm gehören, und einem anschließenden freien Gebet. Wir nennen es politisches Mittagsgebet. Es dient der Fürbitte für die Anliegen von Kirche und Welt. Denn es gehört zu unserer Berufung, dass wir unseren Beitrag leisten zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft. Nicht nur im Gebet, aber eben auch dort. Über lange Zeit bestand unser Mittagsgebet allein aus dieser Fürbitte. Seit etlichen Jahren haben wir aber erkannt, dass das zu wenig ist. Wer bittet, muss auch danken. Seitdem ist das Freitagsgebet ein ganz bewusstes Dankgebet. Wir erzählen einander von den (meist) kleinen und (ab und an auch) großen Wundern und Geschenken, die uns dankbar machen. Denn erst der Dank macht die Gabe zu einem nachhaltigen Segen!
Der Hauptgottesdienst unserer Gemeinschaft ist die (mindestens) wöchentliche Feier des Heiligen Abendmahles. Unser Abendmahl ist eine durch eine bewährte Liturgie getragene Feier. Bei der Kommunion stehen wir im Kreis um den runden Altar unserer Michaelskapelle. Der Liturg ist Teil dieses Kreises, ergreift die Initiative, gibt erst Brot und dann Wein in den Kreis – und dann bricht jeder dem Nächsten Brot und gibt ihm Wein – Christi Leib und Leben. Alle bilden zusammen einen „Ring der Tischgemeinde“.7 Diese Circumstantes-Haltung bringt am stärksten zum Ausdruck, dass wir als Schwestern und Brüder des einen Herrn die Gäste seines Tisches und seiner Versöhnung sind. Er ist unsere Mitte! Für unser Jubiläumsmagazin 2018 hat eine der Jüngeren unserer Gemeinschaft ihre eigenen Erfahrungen der Annäherung an unser Kommunitäts-Abendmahl niedergeschrieben. Daraus nur zwei Sätze: „Jesus ist als der Gekreuzigte und Auferstandene gegenwärtig und ich darf IHN selbst in Brot und Wein immer und immer wieder empfangen und damit alles bekommen, was ich für mein Leben brauche. (…) Ich stelle mich und den anderen unter die Macht des Friedens, die uns einander in einem neuen Licht sehen lässt.“8
Das waren in aller Kürze vier von weit mehr Lebensvollzügen unserer „Liturgie des Alltags“. Es ist auch das Wechselspiel zwischen den eher persönlichen und den eher gemeinschaftlichen Vollzügen, die uns in Spannung und Lebendigkeit halten wollen. Bei alledem sind wir angeregt durch eine Feststellung unseres Gründers. Er generalisierte unseren Auftrag so: „Unser Produkt ist Hoffnung.“ Nicht, dass wir sie machen könnten. Keineswegs. Aber dass wir sie anzubieten haben, das ist gemeint. So ergibt sich daraus die Frage, wie wir Hoffnungsträger bleiben können. Die „Liturgie des Alltags“ ist hier nicht eines von vielen Elementen, sondern von entscheidender Bedeutung. Und wir wissen: „Niemand glaubt immer. Wir brauchen einander, weil jeder von uns zeitweilig nicht glaubt.“9 Und nur, wenn wir im Glauben bleiben, können wir Berufung und Sendung – unser Apostolat – auch wirksam leben.

Klarheit, Mut und Freude

Horst-Klaus Hofmann gab uns mit: „Klarheit kommt aus der Stille, Mut aus der Geschichte, Freude aus der Zukunft.“ Klarheit, Mut und Freude sind stets gefragt. Wir leben vom Handeln Gottes, – letztlich allein von seinem Handeln –, daran erinnert uns die „Liturgie des Alltags“ in ihren vielfältigen Formen Tag für Tag. Denn: „(…) die Erinnerung an Gottes Handeln ist der Orientierungssinn aller christlichen Leidenschaft.“10 Und Erinnerung meint Vergegenwärtigung, so haben wir es von unseren jüdischen Geschwistern gelernt. Dann gilt auch, was Emil Brunner einmal schrieb: „Eine Kirche, die der Welt ein Beispiel wahrer, persönlicher Gemeinschaft gibt, ist das große Wunder in der Welt, nach dessen Geheimnis die Menschen immer wieder fragen müssen und fragen werden.“11 Darum bleibt als Schlusswort in die Zukunft nur diese alte Erkenntnis unseres Gründers aus dem Jahr 1977: „So soll unter uns – gerade, wenn wir von verbindlichem Leben reden – von Anfang an die frohe Botschaft sichtbar sein. Es geht um keine neue Leistung. (…) Das Wort vom verbindlichen Leben beginnt mit dem Wort vom für uns geopferten, geschenkten Leben, es beginnt mit der Heimkehr zu Christus.“12

Unsere Grundhaltung gegenüber Gott

Für uns hat diese ganz wesentlich mit dem Empfangen zu tun. Tagtäglich, immer wieder – das Empfangen der Menschenfreundlichkeit Gottes. Im Beichtgebet unserer Abendmahlsliturgie strecken wir uns immer wieder danach aus. Dort beten wir: „Du weißt, wo wir deine Liebe für uns nicht annehmen konnten, weil wir uns selbst nicht so gesehen haben, wie Du es tust.“ Dieses Empfangen beginnt mit dem „uns sehen, wie Jesus es tut“ und will unser Leben prägen. Dem geben wir Gestalt im täglichen Üben, das wesentlich von der Liturgie des Alltags geprägt ist. Wir sehnen uns nach einem „leidenschaftlichen, revolutionären persönlichen Glauben, der sich gesellschaftlich auswirkt“. Und wir wollen andere dazu ermutigen.


  1. Irmela Hofmann, Kein Tag wie jeder andere, Wuppertal 1978; S. 150 

  2. Leicht bearbeiteter Auszug aus: Klaus Sperr, Die Liturgie des Alltags, Geistliches Leben einer ökumenischen Kommunität; in: Protokolle zur Liturgie, Veröffentlichungen der Liturgiewissenschaftlichen Gesellschaft Klosterneuburg, Band 11, Würzburg 2024, S.278 – 294 

  3. Cornelia Geister, Einige Gedanken zum Thema: Stille Zeit, S. 253 – 265, in: Hofmann, Anstiftungen, S. 253 

  4. Friederike Klenk, Die Perle im Gemurmel. Vom Gewinn der Aufrichtigkeit: Austausch – eine geistliche Übung, S. 46 – 49, in: Salzkorn, Jubiläumsmagazin 2018, S. 46 

  5. Klenk, Perle, S. 48 

  6. Klenk, Perle, S. 49 

  7. siehe Frédéric Debuyst, Romano Guardini, Einführung in sein liturgisches Denken, Regensburg 2009 

  8. Carolin Schneider, Kommunizieren per Brot, Was mir unser Abendmahl bedeutet, S. 114 – 115, in: Salzkorn, Jubiläumsmagazin 2028, S. 114f 

  9. Eugen Rosenstock-Huessy, zitiert nach: Gerhard Besier, Hermann Klenk, Christl R. Vonholdt, Christliche Hoffnung, Weltoffenheit, Gemeinsames Leben, Festgabe für Horst-Klaus Hofmann, OJC, zum 70. Geburtstag; Reichelsheim 1998, S. 3 

  10. Reinhard Frische, Grundentscheidungen für eine gottesdienstliche Lebensführung, S. 263-283, in: Anstiftungen, S. 280 

  11. Emil Brunner, zitiert in: Irmala Hofmann, Kein Tag wie jeder andere, S. 42 

  12. Horst-Klaus und Irmela Hofmann (Hrsg.), Anstiftungen, Chronik aus 20 Jahren OJC, S. 247 

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