wieder holen
Wiederholung verbindet. Rituale schaffen Gemeinschaft und schenken Halt – auch im Alltag. Diese Ausgabe zeigt, wie die Liturgie des Alltags eine tiefgehende, erneuernde Kraft entfalten kann. Stimmen aus der Gemeinschaft und von Freunden berichten, wie Rituale Orientierung und Ruhe in die Geschäftigkeit bringen. Lassen wir uns inspirieren: Das Leben nutzt sich durch Wiederholung nicht ab.
▶︎
▼
Editorial
„Der Tod – das weiß man – nutzt sich durch Wiederholung ebenso wenig ab wie das Leben, und die Liebe auch nicht.“
– Immanuel Kant
Liebe Freunde!
Vor wenigen Wochen waren wir zu einer Hochzeit eingeladen. Dort trafen sich mehrere Familien, mit denen wir jahrelang in Costa Rica gelebt hatten. Was für ein Fest der Wiedersehensfreude! Den ganzen Abend tauschten wir Geschichten von früher aus. „Weißt du noch?“ war der meistgesagte Satz. Und was wir zusammentrugen, waren Erinnerungen an gemeinsam erlebte Wiederholungen: Wie wir immer im Gottesdienst Musik gemacht haben. Dass es jeden Tag das gleiche Essen gab. Wie angekurbelt die Stimmung nach den Teamsitzungen jedes Mal war. Und was die Teenies hinter dem Rücken der Eltern immer gemacht haben… Diese oft gemeinsam wiederholten Erlebnisse haben uns verbunden, sie haben Gemeinschaft gestiftet und eine Identität als „Fincafamilie“ – weit über diese Jahre hinaus.
Die Wiederholung und Ritualisierung mancher Gewohnheiten war uns nicht lästig, sondern schuf eine Art Erkennungsmelodie, die alle mitsingen konnten.
In diesem Heft geht es um das, was uns als Gemeinschaft zusammenhält. Es sind auch hier die gemeinsam vollzogenen und erlebten Wiederholungen. Wir nennen sie Liturgie des Alltags. Hier kommen zwei Wörter zusammen, die einander eigentlich widersprechen. Denn Liturgie als gottesdienstliche Handlung unterscheidet sich explizit vom Alltag. Wir wollen aber mit dem Begriff ausdrücken, dass wir gerade im Alltag Gott erfahren und in der Gemeinschaft mit anderen durch diese geistlichen Elemente Verbundenheit erleben.
Dabei entdecken wir, dass in der Stetigkeit, in der Wiederholung eine haltgebende Struktur liegt, eine Vereinfachung, die in eine uns oft überfordernde Realität Ruhe bringt. Und dass Liturgie ganz überraschend nicht die immer gleiche Leier ist, sondern sich die Worte und Handlungen von Mal zu Mal tiefer auftun und uns immer wieder erneuern.
Neben einigen einführenden Beiträgen kommen viele Menschen zu Wort, die von ihrem Erleben unserer Alltagsliturgie berichten. Das sind nicht nur Kommunitätsmitglieder, sondern auch manche Freunde, die von Besuchen in Reichelsheim als kleines Souvenir ein Element unserer Alltagsliturgie mitgenommen haben und bei sich zu Hause in ihr Leben einfügten. Genauso ist es gedacht! Vielleicht lasst ihr euch ja auch inspirieren und anstecken von der Schönheit und dem gemeinschaftsstiftenden Sinn eines Rituals. Das Kirchenjahr mit seinen Festen hilft dabei: Wir starten von Totensonntag und Allerheiligen kommend in den Advent, in eine Zeit voller gewichtiger Riten und Rhythmen, die uns helfen, in der Zentrifuge der Geschäftigkeit nicht an den Rand gedrängt zu werden. Die vier Adventskerzen führen uns in bedächtigen Schritten auf Weihnachten zu, dem heller werdenden Licht entgegen.
In gewisser Weise bildet dieses Heft einen Kontrapunkt zur letzten Ausgabe: War dort von der lebens-not-wendenden Kraft der Veränderung die Rede, liegt hier der Fokus auf der Lebens-er -tragenden Kraft der Liturgie, des Gleichbleibenden. Das Leben schwingt zwischen diesen beiden Polen.
Keine Furcht also vor Wiederholungen, keine Bedenken bei Liturgie: Das Leben nutzt sich durch Wiederholung nicht ab!
Ich wünsche euch eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und hoffnungsvolle Vorfreude auf das Neue Jahr 2025.