Bullerbü im Quellhausgarten. Den Glauben mit Kindern teilen. Bild von den OJC Kindern im Garten.

Bullerbü im Quellhausgarten

Den Glauben mit Kindern teilen

Wir sitzen auf der großen Terrasse mit der Männermannschaft beim Abendessen; Claudio, unser älterer Sohn, tauscht sich mit den FSJlern über den Stand der gegenseitigen Zukunftspläne und Hochschulbewerbungen aus. „Du möchtest wirklich nur in eine ausdrücklich christliche WG ziehen? Warum?“, höre ich Claudio rückfragen. Ich staune über die selbstbewusste, offene Kommunikationsweise, die unser Ältester pflegt. Er steht ebenso zu seinen konservativen wie liberalen Überzeugungen, vertritt engagiert seinen Standpunkt, ist oft ein aufmerksamer und kritischer Fragesteller. Ein „OJC-Großfamilienkind“! Unsere beiden Söhne sind so aufgewachsen: Alle Lebensjahre in einem Gemeinschaftshaus mit gläsernen Eingangstüren, regelmäßigen Mahlzeiten im Speisesaal und zahlreichen Gästen, die über Gott und die Welt sprachen.

Doch noch Eltern

Als wir damals überraschend Eltern wurden, brauchten wir eine Anpassung der Gegebenheiten im „Quellhaus“ an unsere neu entstandene Kleinfamilie: die Tür zu unserer Wohnküche war aus Glas und ließ den Blick frei auf einen Flur, den alle Bewohner des Quellhauses passierten. Wir fertigten einen Vorhang an – anfangs fürs Stillen – der den Besuchern anzeigte: der Vorhang ist zu, jetzt passt es nicht bei Dangmanns. Auch als die Kinder älter wurden, nutzen wir das „Vorhangsignal“, brauchten wir doch als Kleinfamilie in der Großfamilie mehr Raum für uns, um Breimahlzeiten, Bilderbuchlesen und Zubettgehritualen Ruhe und Kontinuität zu verleihen. War der Vorhang offen, gab es ein reges Kommen und Gehen und Linus und Claudio genossen alle Aufmerksamkeit und Zuwendung, die sie umgab. Ein Großfamilienkind wird stets freundlich angelächelt und mit wertschätzender Aufmerksamkeit beschenkt! Und immer ist ein Freiwilliger da, der zum Toben Zeit hat oder ein Bilderbuch vorliest. Diese räumliche Nähe war nicht immer angenehm: Die Trotzphasen auf dem Schuhbänkchen mitten im Treppenhaus zu bestehen sowie später die lautstarken pubertären Ausbrüche auf dem Präsentierteller eines Gemeinschaftshauses auszutragen, das war herausfordernd für uns; nicht immer ist es gelungen, Fassung zu bewahren.

In der Kindergarten- und Grundschulzeit unserer Kinder war der „Quellhausgarten“ eine Art Familienparadies: Hier wohnten vier Ledige und drei junge Familien mit insgesamt acht Kindern im Alter von null bis sechs. Die Kinder haben in jeglicher Konstellation viele Stunden gemeinsam zugebracht, auch die Kleinsten. Abends haben wir Brote geschmiert und die Kinder am Gartentisch gemeinsam essen lassen. Zum Kindergarten zog morgens eine von uns Müttern mit einer Horde Kinder los, eine andere holte um zwölf ab. Bei Regenwetter lud Christine zu „Feuer-Wasser-Blitz“ in ihr großes Wohnzimmer ein, anschließend sangen wir ein paar Jungscharlieder mit Orff-Instrumenten und es gab Waffeln. Mir war schon damals bewusst, wie einzigartig eine solche Situation ist!

Es gab natürlich auch unbequeme Auswirkungen dieser besonderen Nähe und Verbundenheit in einer Lebensgemeinschaft: „Bei Klenks darf man aber auf der Couch hüpfen“ – „Bei Bußens gibt es aber immer Ketchup, wenn man die Soße nicht mag!“ Das eigene Familienprofil zu pflegen, überhaupt erst herauszubilden, obwohl die Grenzen der Familien im Alltag so durchlässig waren, war die Aufgabe von uns Eltern: „Wir Dangmanns machen das so und so.“

Von Haushalt und solchen Dingen

Ja, wie machen wir Dangmanns das denn eigentlich? Frank und ich waren fast zehn Jahre verheiratet, bevor Claudio geboren wurde. Wir pflegten das ganz klassische Rollenmodell des vergangenen 20. Jahrhunderts: Hanne putzt, wäscht, kocht, muss aber niemals mit einem Hammer, Fahrradschlauch oder einer Schubkarre hantieren. Das entsprach meinen Neigungen und Vorlieben, so dass wir im Großen und Ganzen gut damit zurechtkamen. Das Mutterwerden hatte diese Rolle natürlich verstärkt; da ich daheim war, hatte ich mehr Zeit für diese Dinge. Als unsere beiden Jungs aus dem Kindergartenalter herausgewachsen waren und man ihnen nicht mehr jeden Joghurtbecher bereitstellen oder die Gummistiefel ins Regal räumen musste, fiel Frank und mir auf, dass wir unser gesamtes Modell überdenken sollten. Denn hauptamtlich für drei Männer zu räumen und zu sorgen, wollte ich dann doch nicht. Und dann veränderte sich etwas, als die Jungs erlebten, dass Frank die Spülmaschine ein- und ausräumt und dass ein Staubsaugergriff prima in eine Männerhand passt. Seither gibt es unser samstägliches Familienritual des gemeinsamen Aufräumens und Putzens nach dem Frühstück! Anfangs mit der Musik von Rolf Zuckowski, später mit lauten, rockigen Tönen. Mit einer Idee, die für andere Familien gut ist, kamen wir dagegen gar nicht zurecht: Die Aufgaben-Verteilungspläne, die für die Kinder gut lesbar am Kühlschrank hingen. Tisch decken/Tisch abräumen/Müll leeren/Getränke holen etc. Auch wir entwarfen solche Vorgaben, es funktionierte aber irgendwie nicht. Stand bei Linus heute Tischdecken und war er mit anderem Sinnvollem beschäftigt, habe ich das Im-Plan-Stehende für ihn gemacht und ihn gebeten, nachher abzuräumen. Wir verwarfen also die Pläne, weil wir ohne besser klar kamen. Erst später fand ich eine Erklärung (bei Rudolf Dreikurs) dafür: Eines unserer geheimen Familienideale heißt „Zusammenarbeit“. Für unsere Familie war es wichtiger, sich gegenseitig mit der von der Situation geforderten Unterstützung zu erfreuen, als das Prinzip der gleichwertigen Aufgabenverteilung zu verwirklichen. Jeder von uns erlebte Fehlplanungen und Versäumnisse; wenn ich einen Gast vergessen hatte, konnte ich mich schon auf den achtjährigen Claudio verlassen: „Kannst du mir mal helfen? Würdest du für uns beim Bäcker Kuchen kaufen?“ – Wir leiten einen solchen Hilferuf am Telefon oder über WhatsApp bis heute gerne ein mit der Frage: „Kannst du mich mal retten?“ – So habe ich manch vergessenes Matheheft zur Schule gebracht und Frank hat das eine oder andere Malheur am Angler-Vereinsheim repariert, das übermütige Vierzehnjährige verursacht hatten.

Vom Atem Gottes

In einer Kommunität atmet jeder Winkel Gegenwart Gottes: in allen Häusern gibt es einen kleinen Raum als Kapelle, vor jeder Mahlzeit wird gebetet und gesungen und wir Eltern beginnen den Tag mit einer Andacht, sitzen mit heißem Kaffee am Morgen über Losung und Bibel, alle gehen zum Mittagsgebet.Wir haben deshalb die religiöse Erziehung der Kinder sehr zurückhaltend gestaltet. Es gab biblische und andere Geschichten am Abend, wir haben auch nicht ausschließlich christliche Bücher, Hörspiele und Filme bereitgestellt (auch Harry Potter durfte mit Begeisterung gelesen werden). Frank und ich kommen beide nicht aus einer Familie, in der der christliche Glaube ausgiebig praktiziert wurde, aber wir haben erlebt, dass Gott sich uns bekannt gemacht hat – als Jugendliche auf einer Freizeit. Linus kam schon mit fünf aus einer Jungschar im Dezember und erzählte begeistert von den schönen Spielen, die sie gemacht hatten. „Aber“, ergänzte er mit sehr bedauernder Miene, „die haben schon wieder die Geschichte von dem Josef und der Maria erzählt, die kenne ich doch schon!“ Ich habe versucht, ihm das wohltuende Geheimnis von liturgischer Wiederholung und dem Kirchenjahr nahezubringen, und die Lehre gezogen, dass wir die Kinder nicht fromm überfüttern wollen.

Edith Stein, die zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin, hat als Lehrerin einmal formuliert, sie wünsche sich, ihren Schülerinnen „wahre Urteile, klare Anschauungen und richtige Begriffe beizubringen und ihren Verstand so zu bilden, dass sie dann selbständig wahre Urteile, klare Anschauungen und richtige Begriffe bilden können.“
In die Gemeinschaft, an unseren Tisch kamen sehr verschiedene Menschen, aus anderen Kontinenten und Ländern, mit anderen Sitten und Äußerlichkeiten, es gab leise und lustige Gäste, welche mit verweinten Augen und mit fremder Sprache. Das hat die Weltsicht und Toleranz der Kinder geprägt, besser, als uns das mit theoretischer Vermittlung je gelungen wäre.

Entschuldige!

Es gibt eine ausgeprägte Geschenke- und Entschuldigungskultur in unserer Familie. Das eine, weil Frank ein überaus origineller und aufmerksamer Schenker ist, das andere, weil er eingeübt hat, sich schonungslos und aufrichtig zu entschuldigen. Als Vater hat er mit dem zweijährigen Claudio vor Muttertag ein Erdbeerherz belegt und „für die beste Mama“ draufgeschrieben. Frank hat unseren Jungs auch regelmäßig zum Geburtstag geschrieben sowie auch manche Entschuldigung. So gibt es auch eine Sammlung wunderschöner Briefchen und Zettelchen, die die Kinder an uns geschrieben haben („Entschuldigung, dass ich so beleidikt war“).

Für unsere Kinder war die OJC viele Jahre der schönste Ort der Welt, ihr großes Zuhause, das ihnen so vieles ermöglichte: Wir hatten ein Schloss, ein Café, einen Rasenmähertraktor, viele Stockbrotfeuerstellen, einen VW-Bus, einen Billardtisch und vieles mehr. Erst als sie zwölf, dreizehn wurden, nahmen sie auch wahr, dass in der OJC nur alte Autos mit hohen Kilometerständen und niedrigen PS-Zahlen fuhren, was besonders Jungs sehr betrüblich finden. „Was würdet ihr eigentlich verdienen, wenn ihr als Beamtin und Elektrotechniker arbeiten würdet?“, kam dann die Frage. Da begannen sie sich auch kritisch mit dem Lebensentwurf ihrer Eltern auseinanderzusetzen.

Kinder im Abflug

Claudio ist mit 16 Jahren für ein Schulhalbjahr in die USA gegangen und Linus jetzt im gleichen Alter nach Kanada. In der Abflughalle des Flughafens wurde mir plötzlich klar, dass zwischen dem Anfang im Kreißsaal und dem Verabschieden in dieser Halle alles Wesentliche gelegen haben muss, was man sagen, teilen, prägen wollte. Wir vertrauen, dass sie sich jetzt selber Urteile und Begriffe bilden können. Das Leben in dieser Gemeinschaft hat ihnen sicher eine solide Grundlage dafür mitgegeben, und wir rechnen fest mit der Treue Gottes.

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