
Neue Berufung für Klöster und Kommunitäten
Vom Ort der asketischen Entsagung wurde das Kloster zum Ort des Dienstes an Gott und der christlichen Gemeinschaft. Die neuen Aufgaben der Klöster lagen vor allem in den Bereichen von Ausbildung und Studium, Armenfürsorge, Gebetsfürbitte, Landerschließung und Mission.“ So beschreibt Kristina Krüger in „Orden und Klöster“ (Tandem-Verlag 2007, S. 30) zusammenfassend die neue Rolle der Klöster im gesellschaftlichen Umbruch von der Spätantike ins frühe Mittelalter. Durch den Machtverfall und dann den Zusammenbruch der Institutionen des west-römischen Imperiums haben die klösterlichen Gemeinschaften innerhalb der christlichen Kirchen so etwas wie eine neue Berufung erlebt. Sicher kann man diese Situation nicht einfach mit heute parallelisieren, und doch gibt es interessante und beachtenswerte Vergleichspunkte.
Ortsstabiles Hirtenamt
Auch wir erleben einen gesellschaftlichen und religiösen Epochenwechsel. Das über einen langen Zeitraum stabile landeskirchliche System der flächendeckenden kirchlichen Versorgung erodiert in einem dramatischen Ausmaß, das nur deshalb in seiner Dramatik kaum öffentlich wird, weil z. Zt. die kirchlichen Finanzströme noch mächtig fließen. Doch faktisch geschieht das kirchliche Rückbauprogramm schon seit einer Reihe von Jahren besonders markant durch das Streichen von Pfarrstellen und durch die Fusion von Gemeinden und Dekanaten zu immer größeren Einheiten. Ein wesentlicher Effekt dieser Veränderung ist der Bedeutungsverlust und die Gestaltungsschwäche der Ortsgemeinde. Immer mehr werden Gemeindeverbünde geschaffen mit fluiden pastoralen Teams, die zwar noch formal korrekt versorgen, in denen aber ein wesentliches Gut der Ortsgemeinde verloren geht, nämlich die vertraute und Vertrauen stiftende Beziehung zwischen der Gemeinde und ihrem Pfarrer. Konnte die Barmer Bekenntnis-Synode vom Mai 1934 in ihrer „Erklärung zur praktischen Arbeit“ sagen: „Pfarrer und Gemeinde gehören aufs engste zusammen; denn der Hirte steht in der Gemeinde und die Gemeinde steht mit dem Hirten“, so erscheint dies heute weder realistisch noch ist es kirchlich gewollt.
Vernetzung statt Vereinzelung
So kommen Gemeinden, die heute sowohl strukturell als auch theologisch ihre evangelische Eigenständigkeit und Gestaltungsfähigkeit bewahren bzw. ausbauen wollen, in eine prekäre Lage. Sie müssen sich wehren und ihre widerständige Eigenständigkeit längerfristig ausbauen. Sie brauchen Orte der geistlichen Zurüstung und theologischen Arbeit, sie brauchen Orte der Seelsorge und der Beichte. Sie brauchen ein Netz der geschwisterlichen Stärkung und Solidarität. Und genau dazu brauchen sie Verbündete, jenseits und unabhängig von kirchlichen Leitungsstrukturen und Verwaltungsvorgaben. Dabei kommt der klösterlichen Formation, also der ortsstabilen, kirchlich unabhängigen und darum nicht sanktionierbaren Kommunität eine besondere Bedeutung zu, sodass wir durchaus an die eingangs zitierten neuen Aufgaben des Klosters im gesellschaftlichen Umbruch anknüpfen können. Ich beschreibe dessen Dienst-Aufgaben an der christlichen Gemeinschaft aktualisierend für heute:
1. Biblisch-theologische Lehre und Leiterschaftstraining (Ausbildung und Studium);
2. Diakonie und Zurüstung für einen diakonischen Lebensstil (Armenfürsorge);
3. Gebet – Fürbitte – geistliches Leben – Beichte (Gebetsfürbitte);
4. Geistlich-seelsorgerliche Vision für die Region (Landerschließung);
5. Mission und Zurüstung für einen missionarischen Lebensstil (Mission).
Auf solche geistliche Zentren hin und mit ihnen gemeinsam können sich nun Ortsgemeinden aus dieser Region ausrichten.
Vitalität statt Mutlosigkeit
Damit dieses Bündnis keine Einbahnstraße wird, braucht es verbindliche und längerfristige Absprachen und gemeinsame Formen. Dabei wird sich bald herausstellen, dass ein solches regionales Netz ökumenisch sein wird. Es werden sich landeskirchliche, katholische und freie Gemeinden finden, die mit der Kommunität im lebendigen Austausch und im geschwisterlichen Miteinander unterwegs sein wollen. Dies sind Überlegungen, die mich bewegen. Ich bin davon überzeugt, dass Kommunität und Gemeinde sich zukünftig in einer ganz neuen Vitalität brauchen und gegenseitig stärken, damit wir die missionarischen Herausforderungen mutig angehen können, vor die der HERR uns stellt. Zugleich vertreibt dieses Miteinander die Müdigkeit und Mutlosigkeit, von denen die kirchlichen Rückbauprogramme durchzogen sind, und eröffnet neue Perspektiven des Reiches Gottes.
Als anschauliches Beispiel der Kooperation zwischen Kommunität und Ortsgemeinde zitiere ich aus einem Brief von 2002, den meine damalige Gemeinde an die Kirchenleitung schrieb. Es ist der Antrag des Kirchenvorstands auf die Ordination ins Ehrenamt und die damit verbundene Beauftragung zum ehrenamtlichen Pfarrdienst eines Mitarbeiters der OJC. „Diese Ordination … mit der Beauftragung zum ehrenamtlichen Pfarrdienst in unserer Gemeinde dient einer theologischen Profilierung der Kooperation von Kirchengemeinde und Kommunität. Darin sehen wir eine echte Bereicherung nach beiden Seiten, denn beide haben sich, so ist unsere Erfahrung, in der Komplementarität von stärker gebundenen und stärker offenen Formen gelebten Christseins viel zu geben. Wir wollen damit das lebendige Gespräch zwischen Gemeinde und Kommunität … dauerhaft installieren.“ Die Kirchenleitung stimmte damals erfreulicher Weise diesem Antrag zu. Es war ein gutes Projekt des intensiveren Kennenlernens und der Begegnung dieser beiden unterschiedlichen Lebensformen der Nachfolge Jesu. Auch wenn es nur gut anderthalb Jahre lief, wir haben von und miteinander gelernt, uns auf Jesus auszurichten.