
Eines fehlt dir!
Bleibt nicht berechenbar!
Wenn eine Gemeinschaft so lange unterwegs ist, die Gründergeneration erfolgreich – wenn auch naturgemäß mit großer Anstrengung – abgelöst hat und weitergepilgert ist auf dem Weg mit Gott, dann verdient das enormen Respekt und Dank an Gott und Menschen. Und dann sorgt das dafür, dass eine Gemeinschafts-Persönlichkeit gewachsen ist, die in sich so geformt und originell ist, dass zutrifft, was wir über einen 50-Jährigen wohl auch sagen: „Den veränderst du nicht mehr!“ So sieht man an der OJC auch etwas von dieser gewordenen Persönlichkeit: Ein gewisses intellektuelles Niveau, die damit verbundene Klientel, ein achtsam durchdachtes Ambiente, die gediegene Situation zwischen Schloss und Ort, die Leib- und Magen-Theologen und Themen, für die man sich einen Ruf erworben hat. All das hat Profil. Erfüllt Erwartungen und Bilder. Ist etwas ganz Eigenes geworden. Und das ist wohl immer Stärke und Schwäche zugleich: berechenbar zu sein.
Dass solch eine Gemeinschafts-Persönlichkeit danach fragen mag, was wohl fehlen könnte, empfinde ich als ein schönes Zeichen von Gesundheit und Vernetzungswille. Was fehlt? Ich kann das aus räumlicher Distanz nicht ernsthaft begründen. Aber ich kann sagen, was ich mir wünschen würde: Eine OJC, die sich ihres Gewordenseins mit Dankbarkeit bewusst ist und doch nicht stehenbleibt bei dem, was durch die Gegebenheit ihrer Immobilie oder Tradition oder Theologie als Entwicklungsachse erwartbar ist. Sondern darüber hinausgeht – räumlich, thematisch, von den Zielgruppen her. Eine OJC, die andockt bei den Zukunftsfragen der Kirche. Nicht nur beim Einzelnen und seinen geistlichen oder seelsorglichen Fragen, sondern auch bei der Frage, wie die Kirche Kinder kriegt und lebendig bleibt – egal, ob in Landes- oder Freikirchen. Bei der Frage also, wie die Kirche überlebt. Die OJC als eine Stimme mitten im Diskurs hipper Jugendkirchen wie ICF oder Hillsong oder Initiativen wie FreshX oder Willow Creek, irgendwo bei Worship-Konzerten und Gemeinde-Neugründungen? Gemeinschaftserfahrung im Dialog mit normaler Gemeindearbeit? Könnte die OJC Teil eines vitalen Gesprächs darüber sein, wie eine kommende Generation Kirche leben kann und wie Christen in ihr und durch sie ihren Platz in der Gesellschaft finden können? Müsste sie es nicht sogar? Leben wir nicht alle nur durch Kirchen oder Gemeinden, die den Glauben durch die Zeit tragen? Hier eine Tür zu öffnen und mittendrin in den Bewegungen unserer Zeit zu stehen – ich hielte das für ein wünschenswertes Ziel! Ganz klar: Mit geringer Kraft gibt es Grenzen – aber das Signal, nicht nur um die eigene Zukunft besorgt sein zu müssen, sondern Ort zu sein, an dem man auch mit den Jungen und Bewegten um die Zukunft der Kirche ringt und kennt, was sich hier im Land bewegt, das wäre inspirierend.
Pflegt Euer reformatorisches Erbe!
Was ich mir im „Salzkorn“ in Zukunft verstärkt wünschen würde: biblisch-theologisch orientierte Artikel evangelischer Theologinnen und Theologen. Speziell Horst-Klaus Hofmann war ein Meister im zu Tage fördern von übersehenen geistlichen Edelsteinen dieser Art. Von manchen profitiere ich bis heute: „Jesus, der Seelsorger ohne Methode“ von Karl Heim; „Gott ist einsam geworden. Es gibt keine Sünder mehr“ von Paul Schütz; „Vom Wesen einer gottesdienstlichen Lebensführung“ von Reinhard Frische. In der Zeit, als Dominik Klenk OJC-Leiter war, sind vermehrt katholische Autoren im „Salzkorn“ zu Wort gekommen – wobei auch vorher, wie in einer Kommunität nicht anders zu erwarten, Artikel aus der Ökumene eine Rolle gespielt haben. Gerade Autoren aus der Ordenstradition wie Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar waren bereichernd. Mit Recht gelten Ordensmitglieder als Fachleute für Spiritualität. Im Vergleich dazu traten in den vergangenen Jahren Beiträge von zeitgenössischen evangelischen Theologen in den Hintergrund. Warum vermisse ich sie? Nicht primär, weil ich selbst evangelischer Theologe bin. Die OJC ist eine im Raum der evangelischen Kirche entstandene und von deren Theologie geprägte Kommunität. Trotz mancher Schwankungen blieb diese Orientierung in den fünf Jahrzehnten ihres Bestehens maßgeblich. Auch wenn es in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer zunehmenden ökumenischen Öffnung in Richtung auf die katholische Kirche und die evangelischen Freikirchen kam, ist die OJC institutionell und von der überwiegenden Mehrzahl ihrer Mitglieder im landeskirchlichen Protestantismus verwurzelt. Alle katholischen Orden pflegen die Berufungsspiritualität ihrer jeweiligen Gründer und Gründerinnen. Das ist ein wesentlicher Grund, wieso sie über lange Zeiten ihre Existenz sichern konnten. In der OJC sollte das nicht anders sein. Denn „nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ (Wilhelm von Humboldt). Dazu gehört im Rahmen der OJC ihre Prägung durch eine biblisch-reformatorische Theologie. Die wird heute nicht anders als früher von einer Reihe von Theologen an den ev.-theologischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum (und darüber hinaus) vertreten. Es ist wichtig, sie den OJC-Freunden bekannt zu machen – auch um zu verhindern, dass sich ein falsches Negativbild von evangelischer Kirche und Theologie in den Köpfen festsetzt – vor allem aber, um sich neuere theologische und spirituelle Impulse aus dem Bereich des Protestantismus nicht entgehen zu lassen.
Zieht Euch nicht ins fromme Getto zurück!
“Was will ich hassen und lassen, was will ich lieben und üben?“ – Dieser zentrale Satz aus meinem Weg mit der OJC macht deutlich, welche Keime für mein Denken, Glauben und meine Lebenspraxis im Kontext der OJC gelegt wurden. Eigene Aufgabe und Verantwortung ist es, selbst daraus weiter etwas zu machen. Dass das jungen Leuten auch heute gelingen kann, wünsche ich mir.
Besonderheiten und Stärken der OJC:
Denken und Glauben beieinander halten und gegenseitig befruchten lassen
Sorgfältige alltägliche Arbeit mit dem Feiern von Festen im fruchtbaren Gleichgewicht gestalten
Treue Pflege freundschaftlicher Beziehungen mit der Offenheit und Beziehungsbereitschaft zu Fremden in produktiver Spannung halten
„Prüfet alles“ – eine Aussage ist richtig, wenn sie richtig ist, unabhängig davon, wer sie gemacht hat.
„Wir stehen auf den Schultern der Väter und Mütter des Glaubens “ und sind umgeben von einer „Wolke der
Zeugen“. Christlicher Glaube hat nicht mit uns angefangen und wird auch nicht mit uns aufhören; wir sind Teil
eines großen Netzwerks von unterschiedlichen Kirchen, Denominationen und Gemeinschaften, keiner hat dabei alle
Gaben und Einsichten für sich alleine.
Seit meiner Jugend hat sich die Welt und unsere Lebenswirklichkeit massiv verändert:
Wir werden pausenlos zugeschüttet mit Informationen und tun uns dabei schwer, immer komplexer werdende
Zusammenhänge auch nur ansatzweise zu überschauen. So verfügen wir zwar über viel mehr Wissen, verstehen aber immer weniger im Sinnzusammenhang und in der Tiefe.
Wir erleben die Auflösung von Regeln, Ordnungen und Normen. Hergebrachte politische, soziologische und religiöse Ordnungen werden in Frage gestellt und lösen sich tendenziell auf.
Die Pluralität der Weltanschauungen und individuellen Lebensentwürfe ist unüberschaubar geworden. Unsere
Leitfrage im Alltag heißt oft: Was nützt mir, was stärkt mein Wohlbefinden?, und nicht: Was dient dem
jeweiligen Ganzen? oder: Was ist richtig? Im Kampf immer kleinerer Gruppen für ihre Interessen wird es schwer, noch für ein größeres Ganzes zu denken oder gar wirksam zu handeln. Immer größer wird die Herausforderung, sich im Alltag über gegenläufige Meinungen und Interessen hinweg zu verständigen. Zugleich wächst der Druck auf den Einzelnen, seines Glückes Schmied zu sein. Das führt zur Vereinzelung und Entwurzelung der Menschen.
Aus dem Anspruch auf mehr persönliches Glück, Gesundheit und Erfolg folgt unterschwellig die Vorstellung, dies könne man erreichen, wenn man nur über die „richtige“ Technik z. B. in Bezug auf Psychotherapie, medizinisches Verfahren, „natürliche Heilmethoden“, „richtige Ernährung“ verfügt oder den „richtigen“ Beruf wählt.
Deswegen wünsche ich der OJC für die kommenden Jahrzehnte:
Nehmt die aktuellen Fragen wieder mehr in den Blick und stellt Euch in der Gestaltung des Jahres mit den jungen Leuten die Frage: Was bedeutet all das für unser Leben und unseren Glauben? Und was wollen wir ihnen als Zurüstung mitgeben?
Pflegt Gewohnheiten und Rituale, die Kontinuität und Konstanz aufweisen und in deren Zusammenhänge ihr Euch bewusst stellt. Widersteht immer neu der Versuchung, Euch ins fromme Getto und in die Provinzialität zurückzuziehen. Gesellt dem erlebnisorientierten „Erfahrungsfeld“ gestaltete Räume des Denkens und der liturgischen geistlichen Praxis hinzu.
Wickelt das, was die Zeit und die Welt, in der wir leben, bewegt, in Eurer Glaubens- und Alltagspraxis, in Eurem Denken aus. Es braucht dazu die wöchentliche Bibelarbeit, Schulungen und gemeinsame Lektüre. Lasst die Jungen, die Euch für eine Zeit anvertraut sind, die OJC als Nische und Experimentierfeld erleben, in dem sie einüben, was im Alltag und über die Jahre hinweg tragen kann und was den Menschen gut in seinem Denken, Tun, seiner Lebenspraxis und Beziehungsgestaltung verwurzelt.