
Mutig unterscheiden, entscheiden und scheiden
Michael: Unsere erste Berührung mit der OJC hatten wir durch die regelmäßige Lektüre des Magazins Salzkorn. Seither tauchte immer wieder die Frage auf, ob das Leben in Gemeinschaft nicht auch etwas für uns wäre.
2012 sind wir für 15 Monate nach Kenia ausgereist, um auf einer Missionsstation zu arbeiten. Aber zu einer Verlängerung fanden wir kein hundertprozentiges Ja. Andererseits wollten wir nicht einfach in ein bürgerliches Leben zurück. Da lasen wir auf der Webseite der OJC, dass sie einen Buchhaltungsleiter sucht. Nach meinem Bauingenieursstudium hatte ich berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert und war in Afrika ganz unverhofft in eine Buchhaltungsleitung hineingerutscht. Wir haben Kontakt mit der OJC aufgenommen und die Gespräche wurden ziemlich schnell konkret. Im Sommer 2013 ging es von Kenia direkt nach Reichelsheim.
Uns bewegte die Frage, wie wir authentisches Christsein leben können, das mehr ist als ein sonntäglicher Gottesdienstbesuch. Es ging nicht darum, irgendetwas besser zu machen, aber wenn wir Jesus nachfolgen wollen, musste das doch Auswirkungen auf das ganze Leben haben.
Elisabeth: Für mich war wichtig, dass es bei der OJC für alle „Neuen“ eine Begleitung gibt. Mit meiner Mentorin konnte ich viele Fragen mit jemand anderem als nur mit meinem Mann besprechen, und so persönlich weiterkommen. Ich konnte ganz viel dazu lernen, z. B. was Konfliktfähigkeit anbelangt. Ich bin ein Mensch, der lieber Harmonie versprüht. Dinge auszuhalten und miteinander zu ringen, bis für eine Schwierigkeit eine wirklich gute Lösung gefunden ist, habe ich in der OJC üben und ein ganzes Stück lernen dürfen.
Lernzeit
Michael: Das geistliche Leben hat mich zunächst in seiner Vielgestalt irritiert. Aber ich habe diese Weite kennen- und schätzen gelernt, auch durch Begegnungen mit mir weniger vertrauten Frömmigkeitsstilen, z. B. mit Elementen der katholischen und orthodoxen Kirche. Auch bei politischen oder gesellschaftlichen Fragen hatte ich eine homogenere Gruppe erwartet. Niemals hätte ich vermutet, jemanden mit einem Atomkraft-Nein-Danke-Banner zu treffen. Die einzelnen haben in ihrem Engagement ganz unterschiedliche Schwerpunkte, das reicht von Seelsorge bis zum praktischen Kampf gegen die Armut dieser Welt. Aber letztlich geschieht alles christuszentriert. Im Mittelpunkt steht Jesus. Und so wurde mir diese Bandbreite zu einer großen Bereicherung und wohltuenden Horizonterweiterung. Ein Lernfeld war zu akzeptieren, dass Gemeinschaft zu leben im Alltag Zeit kostet und auch kosten darf. Manche Arbeitsabläufe könnten effizienter gestaltet werden, aber sie haben einen Wert in sich durch die gelebte Gemeinschaft. Den Versand vom „Salzkorn“ beispielsweise könnte man auch gut auslagern, aber beim gemeinsamen Etikettieren findet Begegnung statt, die an anderer Stelle vielleicht nicht möglich wäre.
Dass Gott uns an diese Station geführt hat, empfanden wir von Anfang an als eine Lern- und Vorbereitungszeit. Wofür, war uns zunächst nicht klar. Wir waren bereit zu prüfen, ob es vielleicht um eine längerfristige Berufung bei der OJC geht. Aber manches ließ mir keine Ruhe. Ich empfand die OJC wie einen Hafen. Viele Menschen kommen an, erfahren Begleitung und fahren wieder weiter. Ich habe in mir gespürt, dass ich kein Hafenarbeiter bin, sondern wieder auf ein Schiff möchte. Das gemeinschaftliche Leben tut uns sehr gut und wir haben keine Not. Aber es gibt Dinge, die in mir brachliegen, die ich gerne einsetzen möchte und die woanders vielleicht gebraucht werden. Und ich war überzeugt, dass wir die Schätze des geistlichen Lebens, die wir hier entdeckten, nicht für uns behalten dürfen.
Elisabeth: Das haben wir beide so empfunden, auch wenn Michael der schnellere war. Eine ganz große Hilfe war, gemeinsam mit anderen, die wie wir klären wollten, wie es für sie weitergehen soll, ringen und beten zu können und die bisherige Wegstrecke zu bedenken.
Wo sonst kann man im normalen Alltag solch intensive Zeiten wie mehrtägige Retraiten erleben und sich mit dem auseinandersetzen, was Gott von einem möchte und wie es weitergeht? Ich hatte viel Zeit, um mich selber weiter kennenzulernen, auszuprobieren und sicher in dem zu werden, was Gott in mich hineingelegt hat. Dann fanden wir gemeinsam ein Ja dazu, als Ehepaar und als Familie weiterzuziehen. Wir sind schweren Herzens gegangen, aber auch sehr dankbar, jetzt hier zu sein, als Hauseltern in einem christlichen Gästehaus in Thüringen.
Entscheidungszeit
Michael: Wir wünschten uns eine Berufung als Familie, einen Ort, an dem wir als Ehepaar eine gemeinsame Aufgabe übernehmen können. Ich bin dankbar, dass sich die Tür ins Neue letztlich ohne unser aktives Tun geöffnet hat. Die Entscheidung stand fest, aber das Wie war noch unklar. In diese Ungewissheit hinein hörten wir von Bekannten, dass für das Gästehaus in Reudnitz neue Hauseltern gesucht werden. Wir trafen uns mit unseren Vorgängern und schnell wurde klar, dass Gott etwas vorbereitet hatte. Hier ist ein Ort, wo wir das leben können, wovon wir geträumt haben, wo sich unsere Gaben ergänzen und wir das einbringen können, was wir in den vergangenen Jahren erfahren und lernen durften; darüber können wir nur staunen.
Elisabeth: Es war, als ob wir von Gott in der OJC auf die Seite gestellt wurden, um aufzutanken und uns dann ganz in diesen Dienst reingeben zu können. Das hilft uns, die erste, turbulente und arbeitsintensive Phase gut zu bewältigen. Die Stille am Morgen und das Mittagsgebet, die in der OJC fest zum Tagesablauf gehören, haben mich sehr geprägt, und ich versuche, das auch hier weiter umzusetzen. Es ist unser Anliegen, dass es einen geistlichen Rhythmus im Haus gibt, dem sich die Gäste anschließen können. Wir haben die Hoffnung, dass das Haus einmal von einer kleinen Mitarbeitergemeinschaft getragen wird, die auch geistliches Leben miteinander teilt. Wir suchen noch eine Familie oder ein Ehepaar, die diese Aufgabe nicht nur als Arbeitsplatz betrachtet, sondern als Berufung. Denn alleine können wir diesen Dienst auf Dauer nicht ausfüllen. Es ist ein großes Geschenk, dass es noch keinen Tag gab, an dem wir beide einen Tiefpunkt hatten – so konnten wir uns immer wieder gegenseitig ermutigen.
Michael: Eine besondere Ermutigung für uns ist, dass seit September eine junge Frau aus der Ukraine einen Freiwilligendienst bei uns leistet. Damit sind zwei weitere Aspekte der OJC auch in Reudnitz präsent: die Begleitung von jungen Menschen und der internationale Horizont. Auch die Vernetzung mit anderen Werken ist uns ein Anliegen.
Wir sind nicht weggegangen, sondern weitergegangen. Das ist uns wichtig. Es ist eine Fortsetzungsgeschichte, die eng mit der OJC in Verbindung steht. Wir sind sehr dankbar für die gemeinsame Zeit und können nur staunen über den Weg, den wir geführt wurden.