
Mit leichtem Gepäck
Gespräch mit dem Künstler Michael Blum.
Die Fragen stellte Cornelia Geister
Herr Blum, Sie haben die Kapelle in einem Hospiz gestaltet. Wie kommt man zu einem so ungewöhnlichen Auftrag?
Zuerst einmal bin ich gefragt worden, ob ich bereit wäre, diese Kapelle zu gestalten. Ich hab Ja gesagt. Dann ging es darum nachzudenken, was das heißt, seine letzten Tage im Leben zu erfahren, zu sterben. Im Nachdenken, Meditieren und auch im Gebet haben sich mir weite Tore geöffnet. Ich kam auf Lebenswende, Lebensweg, Lebenslinien. Ich habe mich dann entschlossen, Lebenslinien aufzuzeichnen, von der Geburt an durch die Lebensphasen bis zum Tod.
Hat Sie die künstlerische Auseinandersetzung mit der Situation des Sterbens gereizt?
Ich dachte, am Ende meines Lebens ist es hilfreich, wenn ich durch Bilder oder Impulse auf bestimmte Lebenssituationen hingewiesen oder noch einmal daran erinnert werde. Man braucht Mut und Kraft, das eigene Leben noch einmal zu reflektieren.
Ein Fries als Mutmacher?
Ich habe beobachtet, dass manche Sterbende mit ihrem Leben nicht versöhnt waren. Da gab es vieles, was zu kurz gekommen, was sachlich nicht geregelt war, bis hin zum Nachlass. Wenn man am Ende seines Lebens vor einer Assoziationskette wie diesem Fries durch sein Leben geht – da müssen ja nicht alle Bilder stimmig sein – kann das helfen, darüber zu reflektieren und festzustellen, dass das eigene Leben nicht so schlecht war, sondern auch wunderbare Höhepunkte hatte, dass einem manches zugefallen ist, aber auch Turbulenzen, die es in jedem Leben gibt. Da kann man Trost und auch ein Ja dazu finden.
Was war bei dieser Arbeit besonders herausfordernd?
Das vorgegebene Thema war Lebensweg, aber im Hintergrund immer auch Auferstehung, ewiges Leben. Das ist das große Thema in meiner Kunst und in meinem Glauben. Ich kann mit dem Christentum so unglaublich gut leben, weil mir Christus verspricht, dass ich, wenn ich mich an ihn halte, mit ihm ewig leben werde. Das wollte ich möglichst klar realisieren: Auferstehung. Wie kann man das bebildern? Wie kann ich sichtbar machen, dass ich den Schritt aus diesem Leben in das andere getröstet und gestärkt tun kann? Das sind große Worte – aber in dieser Kapelle sollte jeder sehen und hören: Habt keine Angst. Euch erwartet etwas Gutes.
Nicht nur Christen sterben hier, sondern auch Menschen, die mit dem Glauben nichts anfangen können oder einer anderen Religion angehören.
Mein Auftrag war es, eine christliche Kapelle zu gestalten. Mit dem Lebensfries aber kann jeder für sich seinen Weg gehen, auch wenn er kein Christ ist. Ich habe eine Maltechnik entwickelt, die dem des Reliefs sehr nahekommt. Die Bilder haben ein Strukturgel als Untergrund. Darin sind viele archaische Zeichen aus vielen Kulturen hineingeritzt – das, was man vorfindet in der Welt. Sie ist ja bereits gestaltet. Mein Auftrag ist es, sie weiterzugestalten. Jetzt kommt die nächste Dimension hinzu: Es laufen sieben Lebenslinien über diese Bilder. Man kann dem Lebensweg nachgehen, man kann aber auch in der Tiefe schauen.
Zielpunkt Jenseits – wie bebildert man etwas, das man nicht kennt?
Das bunte große Fenster ist eine starke Metapher für die Auferstehung, für das Hineingehen in das große Licht, in die Sonne – auch ein Symbol für Christus. Direkt davor liegt die letzte Wegstrecke, die durch das Kreuz in die Auferstehung führt. Die Endstation als Übergang.
Und der Startpunkt für den Betrachter?
Der Ausgangspunkt ist meine Geburt, was ich vorfinde, wenn ich auf die Welt komme. Ein Haus, mit schönen Räumen, Sonne, Wasser. Es geht vom Kind zum Jugendlichen, zum Erwachsenen, zur Liebe, die dann kommt, und zu dem, was man sich in diesem Leben erarbeitet. Ich wollte, dass sich jedes Lebensalter an verschiedenen Punkten, die im Leben wichtig sein können – nicht müssen –, wiederfindet. Ein Leben kann zwölf Jahre dauern oder dreißig oder auch 89. Und ich wollte dem Betrachter die Angst vor dem Sterben, vor dem Tod nehmen.
Die Angst vor dem Tod ist aber ziemlich hartnäckig …
Der Mensch, die Menschheit ist stark von Angst geprägt. Der Tod wird oft als Sensenmann, als schreckliches Gerippe dargestellt. Ich halte das für einen falschen Zugang. Der Tod – ich nenne ihn lieber den Todesengel – hilft viel mehr wie eine Hebamme beim Wechsel vom irdischen Leben in das geistig-geistliche Leben. Das ist doch wunderbar! Wir haben keinen Grund, das Sterben zu verteufeln. Seit einigen Jahren lade ich in meinem Morgengebet den Todesengel ein, an meine Seite zu kommen, mir durch den Tag ein guter Begleiter zu sein, ein Berater und Freund.
Der Todesengel als Lehrmeister zum Leben?!
Für einen Christen ist der Tod nicht der Feind des Lebens. Seit ich mir das bewusst mache, ist mein Leben reicher geworden, gelassener, weil ich keine Angst mehr vor dem Sterben habe. Wenn Gott seine Engel schickt, in so viele Situationen meines Lebens hinein, ob ich das nun merke oder nicht, kann ich davon ausgehen, dass, wenn ich hier aufhöre und auf der anderen Seite anfange, Gott mir jemanden schickt, der mir da durchhilft. Ich glaube an diesen Todesengel, der mich abholt und liebevoll dahin bringt, wo ich Gott begegnen werde. Diesen wichtigen Akt muss ich nicht allein tun.
Dennoch bleibt Sterben furchterregend.
Den leiblichen Tod, auf den ich zugehe – so nennt der Heilige Franziskus ihn sehr genau, um ihn vom geistlichen, dem endgültigen Verdammnistod zu unterscheiden – kann ich ertragen, auch wenn er schwer ist, weil ich glaube, dass Gott mich nicht fallen lässt, dass er mich auferweckt und ich in einer Glücksgemeinschaft mit ihm leben darf. Hinter dem Sterben erwartet mich Unbekanntes, ja ein unbekannter Gott.
Der unbekannte Gott – das ist ein außerordentlich schwieriges Thema.
Was uns von Gott bereits gesagt wurde, ist schon sehr viel: Wir haben Gott, den Vater, Gott, den Sohn und den Heiligen Geist – in einer Person. Ausschlaggebend für mich ist, dass wir Gott einen großen Schritt näher kommen durch seinen Sohn. Er fühlt mit uns und fühlt wie wir: Kälte, Hunger, Lieblosigkeit – bis zum bitteren Tod. Ich selbst habe Jahrzehnte gebraucht, um diesen Gott als Vater zu erkennen und lieben zu lernen, vielleicht, weil ich selber keinen besonders guten Vater hatte. Diesem liebenden Gott muss ich nichts vorenthalten, meine Sünde nicht, meine Schuld nicht, meine Freude nicht. Alles, was ist, lege ich in seine Hand, weil ich von Jesus weiß: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit. Entweder glaube ich ihm das und freue mich und bin fest bei ihm aufgehoben. Oder ich kann oder will das nicht glauben.
Nicht jeder hat einen solchen Glauben mitbekommen.
Ich wurde nach dem Krieg streng katholisch erzogen und von den Pfarrern wurde uns gesagt: Der liebe Gott sieht alles! Wer nicht spurt, landet in der Hölle. Mit 18 Jahren kam ich nach Köln und da war Schluss mit Katholischsein. Nach einiger Zeit befreundete ich mich mit einem jungen Kaplan, der mir von der Liebe Gottes erzählt hat. Langsam – über Jahrzehnte – ist in mir ein neues Vertrauen gewachsen, zu einem liebenden Gott. Ich hatte Glück und fand gute Freunde, die auch um Glauben rangen. Durch die Zusage: Gott ist gut, Gott will, dass dein Leben gelingt, bin ich geheilt worden. Es war ein langer Prozess, der mein Leben durchzog.
Welcher Wesenszug Gottes hat sich Ihnen neu erschlossen?
Ich vertraue ganz fest auf die Barmherzigkeit Gottes. Selbst auf dem Totenbett kann Gott uns vergeben. Ziemlich am Ende des Frieses in der Kapelle findet sich ein Labyrinth. Wir können noch so alt werden, uns noch so sehr bemüht haben, um im Glauben zu wachsen, Gott muss sich unser erbarmen, und das tut er gern. Wir dürfen auch mit dem, was nicht gelöst und nicht geregelt, nicht gut ist, ankommen. Er erweist sich als barmherzig, verzeiht gern. Das Leben bleibt eine große Aufgabe, auch im Alter. Und für mich ist die Zeit, in der ich jetzt lebe, die schönste, ein ganz großes Geschenk. Ich würde mit niemandem tauschen, obwohl ich mit einigen Krankheiten fertig werden muss.
Wir haben alle eine „Restzeit“ zu leben. Was gehört da für Sie auf die Prioritätenliste?
Versöhnung muss ganz oben stehen. Versöhnung mit mir selbst, mit den Mitmenschen, mit Schicksalen, mit Zu-kurz-Gekommenem. Loslassen, was mich beschwert. Ich denke an einen Menschen in unserer Familie, der sich nicht versöhnt hat. Wir haben ihn kurz vor seinem Tod besucht und er sprach kein Wort, sondern knirschte nur mit den Zähnen. Das war furchtbar. Ein Schwager hingegen rief uns alle vor seinem Tod an: Ich muss sterben, das hat mir der Arzt gesagt. Hast du noch etwas gegen mich? Habe ich dir etwas angetan, womit du nicht fertig wirst? Er hat sich mit möglichst allen versöhnt und ist ganz ruhig gestorben. Versöhnung bewirkt Frieden. Herzensfrieden.
Ist es leichter, wenn man weiß, wie viel Zeit einem bleibt?
Die Frage nach dem Countdown wird hinfällig, weil ich mich in die Hände meines barmherzigen Gottes fallen lasse. Ich gebe mein Leben zurück: Hier ist es, nimm es auf mit allem, was dir nicht gefallen hat. Der Tod beendet ja nichts, was wichtiger ist als das, was kommt. Ich kann morgen gehen, oder in drei Jahren. Und wenn ich noch zehn Jahre lebe, freue ich mich auch. Da kann ich noch ein paar Bilder malen und mich am Blühen freuen – aber das Ende ist für mich keine Frage mehr. Ich kann morgen ohne Meckern gehen.