Die Wirklichkeit umarmen. Ankommen im Ehelosen Leben. Bild von Ursula Räder.

Die Wirklichkeit umarmen

Ankommen im Ehelosen Leben

Bedeutet Single-Sein eine Verurteilung zum Unglücklich-Sein?
Zum Unglücklich-Sein „verurteilt“ ist ein unfreiwillig Alleinstehender genau so wenig wie jeder andere Mensch in jeder anderen Situation. An jeden Menschen stellt das Leben seine Fragen, ob das Kinderlosigkeit, Krankheit, eine unglückliche Ehe oder Schicksalsschläge sind – der Einzelne ist herausgefordert, seine Antwort auf das ihm Zugemutete zu finden. Nicht die Lebenssituation an sich ist „das Unglück“, sondern es bleibt uns immer ein Raum der inneren Einstellung dazu.

Für Singles heißt die Herausforderung, mit einem sehr realen Verzicht zu leben: dem Verzicht auf den Ehepartner und alles, was damit leer bleibt. Das ist nicht leicht, erst recht dann nicht, wenn die Ehelosigkeit nicht gewählt wurde. Es muss ausgehalten werden und löst natürlich Reaktionen aus. Rebellion: Hast du mich vergessen, Gott?; Verunsicherung: Stimmt mit mir etwas nicht?; Schmerz und Trauer, bleibt doch ein wesentlicher Bereich meines Menschseins ungelebt. Die alles entscheidende Frage heißt: Wie gehe ich mit dem Verzicht um? Bleibe ich in einer inneren Streikhaltung oder lasse ich mich auf den Prozess des Bejahens ein?

Als ich zum ersten Mal den Gedanken zulassen konnte: Und wenn ich nun für den Rest meines Lebens alleine bleibe?, da kam zu meiner allergrößten Überraschung: Erleichterung. Erleichterung vom Druck einer Erwartung an mich selbst, eines Anspruchs, unter den ich mich gestellt hatte: Du musst das doch schaffen!
Und dann braucht es ein Einwilligen, ein in Gottes ausgestreckte Hand Einschlagen: Okay, wenn das der Weg ist, Gott, auf dem du mir deine Liebe zeigen willst, dann gehe ich ihn mit! Ich glaube dir, dass du es gut mit mir meinst, auch wenn du mir nicht gibst, was ich mir wünsche. Da geht es zutiefst um meine Entscheidung, Gott zu vertrauen.“

Manchmal erwecken alleinstehende Männer oder Frauen den Eindruck, sie würden erst mit dem „richtigen“ Leben beginnen, wenn sie einen Partner gefunden haben. Eine Falle?
Eine Freundin gebrauchte einmal das Bild eines Bahnhofs: die Reisenden warten auf den richtigen Zug, um ins „gelobte Land“ Ehe und Familie zu reisen und sehen ihren Aufenthalt auf dem Bahnhof nur als notwendiges, vorübergehendes Übel, das keiner weiteren Aufmerksamkeit bedarf. Diese Einstellung ist gefährlich. Sie entwertet das Hier und Jetzt und gibt der Zukunft einen Platz im Land der Träume. Die Zukunft wächst aber auf dem Ackerland der Gegenwart. Die Gegenwart, unser Alltag, egal, wie er gerade aussieht, braucht Gestaltung, braucht unser aktives Da-Sein, unser leidenschaftliches Investieren. In diesem Mühen um das Heute drückt sich Wertschätzung aus, ein Ja zum Leben, und wir werden darin reif für das Morgen.

Wer nur auf dem „Bahnhof“ herumsteht und seine Zeit mit Träumen vom „richtigen Zug“ verbringt, der wird weder in seinem Alleinsein noch in einem ehelichen Miteinander „richtiges“ Leben finden.
Kann man Single-Sein, auch unfreiwillig, als Berufung verstehen? Welche Aufgaben oder Missionen sehen Sie für alleinstehende Menschen?

Heute – nach vielen Jahren des Unterwegs-Seins mit Gott durch dick und dünn – verstehe ich unter Berufung den Lockruf meines liebenden Gottes: Komm zu mir! Ich möchte dich in die Entfaltung deiner Person führen, möchte dir erfülltes Leben schenken. Ich habe einen guten Weg für Dich! Es ist eine Mischung aus eigenen Entscheidungen, Geführt-Werden und aktivem Einwilligen: „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt“ (Talmud). So denke ich, dass es möglich ist, auch in das Unfreiwillig-Single-Sein als eine Lebensberufung hineinzuwachsen. Die spannende Frage ist: Welche Begabung könnte Gott gerade in diesen Weg der nicht gewählten Ehelosigkeit hinein gelegt haben? Was sollen wir in diese Welt hinein bringen, was auf andere Weise nicht hinein kommen kann? Hier gibt es sicher viele gute Beispiele aus Klöstern, aus der Diakonie und dem stillen Wirken Einzelner. Paulus öffnet uns im zweiten Korintherbrief die Augen dafür, dass wir Ledigen Herzen und Hände freier haben für Gottes Anliegen als unsere verheirateten Geschwister.

Welchen Wert haben Freund-schaften für alleinstehende Menschen?
Freundschaften haben einen kaum zu überschätzenden Wert im Single-Leben.
In einer gelingenden Ehe sind die Partner sich über viele Jahre Gegenüber, wachsen und reifen aneinander (im Idealfall); im Single-Leben gibt es dieses Gegenüber so nicht, doch jeder Mensch braucht zum Reifen und Wachsen der Persönlichkeit das Du. Der Mensch wird am Du zum Ich (Martin Buber). Deshalb sind gute, tragfähige, besonders auch langjährige Freundschaften für einen Single ungeheuer wichtig. Und weil solche Beziehungen nicht automatisch entstehen oder bestehen bleiben, ist hier bewusste Pflege nötig: aktiv auf Menschen zugehen, auch solche in anderen Altersphasen, Zeit investieren ins Miteinander, meine Stärken einsetzen, meine Bedürftigkeit zeigen, von mir erzählen und dem andern zuhören, Füreinander-da-Sein, alles, was gute, tiefe Beziehungen ausmacht.

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen: Um als alleinstehender Mensch wirklich gesund zu leben, muss ich einigen Menschen sogar ausdrücklich erlauben, sehr nah an mich heranzukommen. Einige wenige Menschen, die ich hin und wieder ehrlich in mein Herz schauen lasse, von denen ich Korrektur suche und annehme – ohne mich wehren zu müssen, ohne Groll oder Rachegelüste. Das können gute Freunde sein oder auch ein Seelsorger, ein Mentor. Das entwickelt sich nicht von selbst – es ist ein Entschluss nötig, das aktive Zugehen auf eine Person. Vielleicht ist eine Vereinbarung und Regelmäßigkeit dabei hilfreich.

Übrigens halte ich die Bezeichnung „Single“ für unpassend: Wir sollten eben gerade nicht vereinzelte Wesen sein, sondern verbunden mit anderen leben. Und wir sind ja auch keine Neutren, sondern Männer und Frauen, mit allem, was dazu gehört. Ich benutze lieber die Bezeichnung: ledige Frau oder lediger Mann. Von der Wortbedeutung steckt hier etwas von Freiheit drin.“

Johannes Paul II. schreibt, dass die Menschen ohne eigene Familie dem „Herzen des Herrn besonders nahe stehen.“ Stimmen Sie dem zu?
Ich freue mich über diese Aussage; „dem Herzen des Herrn besonders nahe“, das ist ein Platz, an dem ich gerne sein möchte! Was ich beobachte und selbst erlebe, ist, dass alleinstehende Menschen ganz einfach aus ihrer Situation heraus stärker auf Gott gewiesen und angewiesen sind. Ob und wie das jeder einzelne umsetzt, das ist nochmal eine andere Frage. Wenn ich z.  B. nach einer langen und anstrengenden Arbeitssitzung am Abend müde nach Hause komme, mit vielen durcheinander gemischten und aufgewühlten Emotionen und offenen Fragen, dann hilft es für den Moment vielleicht schon, mich vor den Fernseher zu setzen oder eine Freundin aufzusuchen. Früher oder später wird mich mein Alleinsein aber doch wieder einholen und es bleibt der Weg, meine Gefühle und Gedanken zu Gott zu bringen, mit ihm zusammen anzuschauen, zu sortieren und ihn um seine Hilfe zu bitten.
Enttäuschungen und Überraschungen, Empfindlichkeiten, Ärger und Freude – was so in meine Seele fällt den Tag über und in mir kreist, das kann mich regelrecht „gefangennehmen“. Es fehlt mir die Normalität des Familienalltags, die mein schlichtes Da-Sein fordert, es fehlt mir die Mahnung des Ehemannes, der sagt: „Jetzt hör doch mal auf damit!“ oder „Das kannst du auch mal so herum sehen …!“, das mich aus dem Kreisen herausholt. So bleibt mir letztlich gar nichts anderes übrig, als den Weg zum Herzen Gottes zu gehen und dort mit allem zu landen. Übrigens ist das ja auch für Verheiratete zutiefst der wirklich hilfreiche Weg. Und vielleicht ist es andersherum auch wahr: Gott hält den Platz an seinem Herzen ganz besonders für Alleinstehende wie mich frei! Denn er weiß, dass ich seine göttliche Liebe in besonderem Maß brauche. Dieser Gedanke ist kostbar und lässt meine Sehnsucht nach Lieben und Geliebtwerden ins Fließen kommen; so wird mein Dasein fruchtbar, auch als unverheiratete Frau.

Anders gefragt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist …“ Also doch eine Anleitung zum Unglücklichsein?
Diese Aussage der Bibel gilt nach wie vor, allerdings kann ich das für mich als unverheiratete Frau auf verschiedene Weise hören. Aus dem grundlegenden theologischen Buch „Ehe und Ehelosigkeit“ von Max Thurian habe ich gelernt, dass durch Jesus selbst die neue Dimension der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen geöffnet (Mt 19,12) und auch von ihm selbst gelebt wurde. Mit Jesus begann eine neue Zeit, die die Schöpfungsordnung nicht aufhebt, sondern in einen neuen Rahmen – Endzeit, Erlösungszeit – einbettet. Auf diesem Hintergrund muss ich das Wort „Es ist nicht gut …“ nicht mehr ausschließlich als Aufforderung zur Ehe verstehen. Es ist gut, dass Gott Mann und Frau geschaffen hat, und es ist wichtig, dass Mann und Frau einander ergänzen und zur Hilfe werden. Das geschieht sicher zuerst und am konkretesten in der Ehe. Aber es geschieht auch z.  B. am Arbeitsplatz, in Teams, in Freundschaften … Ich erlebe es konkret im Umfeld meiner Lebensgemeinschaft, wo sehr darauf geachtet wird, dass Männer und Frauen immer gemeinsam an Projekten arbeiten.

Es ist auch eine Ermutigung, ganz Frau zu sein; herauszufinden, was das heißt und es ins Leben zu bringen: so hat Gott mich geschaffen! Ich habe mich lange Zeit geplagt damit, dass so viel Sehnsucht in mir war nach einem Mann, nach Lieben und Geliebtwerden. Bis ich verstanden habe, dass diese Sehnsucht nach dem Gegenüber etwas Schöpfungsgemäßes ist: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Die Sehnsucht ist kostbar, denn Gott selbst hat sie in mich hineingepflanzt. Sie ist ein Gruß aus dem Paradies, von meinem Schöpfer. Wie ein Busch, der in meinem Lebensgarten wächst. Und da gibt es zwei Extremhaltungen: Entweder ich lasse zu, dass der „Busch Sehnsucht“ alles überwuchert, allem anderen, was wachsen könnte, die Luft nimmt. Oder ich versuche, den „Busch Sehnsucht“ mit Stumpf und Stiel auszurotten und decke ihn zu mit Arbeit, Aktivität … Beide Haltungen machen unglücklich, denn die Sehnsucht ist eine Lebenskraft. Auch da, wo sie nicht in eine Ehe führt, führt sie doch über mich hinaus und kann mein Leben fruchtbar machen. Deshalb soll ich für den „Busch Sehnsucht“ Verantwortung übernehmen; ihn pflegen, nähren, beschneiden, zum Blühen bringen und herausfinden, welche Frucht er hervorbringen möchte.

Menschen, die nicht mehr jugendlich sind und noch keine Familie gegründet haben, werden immer mehr. Wie sollte die Kirche darauf reagieren?
Aufgabe von uns Christen – einzeln und insbesondere als Kirche – ist es, Gottes geoffenbarte Idee vom Menschsein mit Wort und Leben bekannt zu machen. Wir sind von Gott geschaffene, von Jesus Christus erlöste Männer und Frauen, Gottes Ebenbild, gerufen in eine lebendige Beziehung mit ihm, dem Liebhaber des Lebens. In diesen großen Horizont gehört auch Gottes Idee von Ehe und Ehelosigkeit. Es sind zwei verschiedene Lebensentwürfe, die ebenbürtig nebeneinander stehen mit jeweils unterschiedlichen Chancen und Begrenzungen. Auf diesem Boden wünsche ich mir von den Kirchen Klarheit in der Lehre und Unterstützung im Herausfinden und Leben der jeweiligen Berufung. Speziell für den Weg der Ehelosigkeit: nicht Mitleid oder Drängen zur Ehe, nicht vorschnell den Dienstcharakter oder die Verfügbarkeit betonen, sondern ernst nehmen und prüfen helfen: Könnte das ein Weg für mich sein? Durchhelfen durch Selbstzweifel und Nöte des Verzichts, damit ein Freiwerden von der Fixierung auf das Defizit und ein Hinwenden zur Begabung dieser Lebensform geschehen kann.“ Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass in unserer Zeit viele Menschen unfreiwillig ehelos leben, dass die meisten nicht zu einer Lebensgemeinschaft gehören, dass viele auch bereits Zerbruchserfahrungen mit Partnerschaften gemacht haben. Hier heißt es Orientierung geben und miteinander die Frage bewegen: Wie können diese Menschen in die Würde ihres ehelosen Standes hineinwachsen?

Das Interview führte Christa Pfenningberger. Erstabdruck in Feuer und Licht (FL 242, Alleinstehend), Uedem

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